Rezension

Atmosphärisch top, inhaltliche Umsetzung eher Flop.

Witchborn - Nicholas Bowling

Witchborn
von Nicholas Bowling

Meinung:

Ich habe mir so viel von diesem Buch, dieser Geschichte erwartet. 
Und im Endeffekt nur die Hälfte bekommen. Leider muss ich sagen, dass der Klappentext an dieser Stelle nicht ganz unschuldig an meinen Erwartungen ist.
Ich habe ihn gelesen und dann Action, Spannung und ganz viel Magie erwartet. Aber im Sinne von Funken, von Handlungen, von Lichtblitzen, von innerer Stärke und einer authentischen Darstellung.

Mit 14 Jahren sollte man - zumindest wenn die Mutter eine Hexe war - ein bisschen mehr Verständnis für die Welt haben. Ich finde, man sollte, auch im Jahre 1577 in England - sich entweder in die Rolle der Hausfrau einfügen, sich sozusagen anpassen, oder aber völlig aus dem System fallen. In diesem Fall hätte ich mir gewünscht, dass Alyce viel mehr Ahnung von der Hexenmaterie hat. Aber sie kam mir von Beginn an fast gänzlich ahnungslos vor - außer von Kräuterkunde und der Totenwelt - kein Wissen vorhanden.

Der Autor entführt den Leser in die historische Vergangenheit Londons.
In die Zeit der Hexenverfolgung und Verbrennung, in die Zeit, in der Maria Stuart die Königin der Schotten und Elisabeth Königin von England war.
Und auch wenn ich überhaupt nicht so viele historische Romane etc lese, so weiß ich doch ungefähr wie die Umstände der jeweiligen Jahrhunderte ausgesehen haben müssen. Die Atmosphäre hat mich definitiv gepackt und mitgerissen. Alles stinkt, die Gassen von London sind unsauber, überall Unrat und kaum hygienische Maßnahmen. Die Luft ist stickig, es ist dunkel und marode. Die Gasthäuser sind gefüllt mit lachenden, trinkenden, dickbäuchigen Menschen und auch die Kleidung der damaligen Zeit hat der Autor treffend beschrieben. Also was das angeht - volle Punktzahl.

Leider ist die Atmosphäre nicht alles was zählt und bereits bei den Charakteren ging es nicht so gut zu. Alyce, 14 Jahre, hat ihre Mutter an Hexenjäger verloren und muss sich nun allein durch London schlagen, um zu sehen, wie es weitergeht. Sie ist anfangs ein sehr sympathischer Charakter, den man nur bemitleidet und bemuttern will. Obwohl sie das gar nicht nötig hat, denn augenscheinlich weiß sie sich zu verteidigen. Das geht aber immer nur ein paar Minuten gut, dann ist sie wieder das ängstliche Mäuschen, das mir eher vorkommt wie zehn und nicht weiß wohin mit sich. 
Dadurch hat sie für mich ziemlich viel Authentizität eingebüßt. 
Hinzu kommt auch, dass ich mich kaum in sie hineinversetzen konnte. 
Von der Angst und den Fluchtgedanken einmal abgesehen.

Alyce hat dennoch ein klares Ziel vor Augen und trifft auf ihrem Weg dorthin Solomon, der mir direkt ein wenig spitzbübisch vorkam. Was - in meinen Augen - Schwung in die Geschichte brachte. Mit vielleicht ein paar Sommern/Wintern mehr als Alyce schlägt sich Solomon als Schauspieler durchs Leben. Er gefiel mir auf Anhieb und auch die Verbindung zwischen den beiden passte für mich. 
Wie genau die aussieht, das könnt ihr selbst herausfinden.

Mit einer der wichtigsten Punkte war mir jedoch nach Titel UND Klappentextlektüre: Die Magie. Die böse und die gute. 
Irgendwie kam weder das Eine noch das Andere so richtig beim Leser an...
Klar, es gibt geisterhafte Gestalten, Strohpuppen à la Voodoozeug und rätselhafte Energiekraftschübe. Irgendwann gibt es auch richtige Hexenbücher, in denen man lesen und die man theoretisch anwenden kann.
Theoretisch. Denn es bleibt bei der Theorie. Ich habe Alyce kein einziges Mal praktisch und bewusst Magie anwenden sehen. Und sorry, aber das geht gar nicht, selbst wenn es ein Jugendbuch sein soll und es kaum brutale oder gewaltsame Stellen gibt - ein bisschen Zauber muss sein!

Vom Verlauf der Geschichte bin ich wiederum ganz angetan, auch wenn es nicht sonderlich spannend war - aber der Schreibstil des Autors ist fantastisch. Einfach, locker und gleichzeitig fesselnd. 
Die Geschichte selbst wird in zwei verschiedenen Sichtweisen erzählt - einmal die von Alyce und einmal aus der Sicht von Hopkins, dem Hexenjäger. Beide Male jedoch nicht aus der Ich-Perspektive, was dem Ganzen etwas die charakteristische Nähe nimmt.
Es gibt einige aufregende Höhepunkte und trotz emotionaler Distanz wollte ich hinter das Geheimnis der rivalisierenden Königinnen kommen. Ich wollte wissen, ob Alyce findet, was sie sucht. Wollte wissen, ob ihr Weg sie aus London heraus führt und was sie mit den Hexenbüchern anstellt.
Ich habe es erfahren. Und es hat mir nicht wirklich zugesagt.
Das Ende kam zu schnell, zu abgehackt, zu gedrängt. 
Und Alyce hat aus der Situation nichts gelernt. 

Fazit:

Witchborn lässt mich zwiegespalten zurück. Zum Einen ist es ein recht authentisches Buch was die historische Darstellung angeht. Es ist atmosphärisch drückend und gut zu lesen - fesselnd, wenn auch nicht vom Inhalt her. Zum Anderen wartet es mit einer interessanten Geschichte auf, die in meinen Augen jedoch nicht sein volles Potenzial entfalten kann.
Der Grundstein wurde gelegt und hat sich dann im Laufe der Story verloren.
Die Spannung schwankt, die Charaktere sind mir zu flach, alles in allem leider nur Mittelmaß. 

Bewertung:

⭐️⭐️⭐️ (3/5)