Rezension

außerordentlich wichtiger Beitrag zur Meinungsbildung

Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit -

Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit
von Mai Thi Nguyen-Kim

Bewertet mit 5 Sternen

Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit von Mai Thi Nguyen-Kim zeigt unfassbar viele wichtige mathematische Grundlagen. Und eigentlich sollte man ganz weit hinten anfangen zu lesen, dann wieder nach vorne blättern und immer wieder diesen Blick ans Ende werfen. Warum? Weil genau dort die wichtigen Merksätze stehen, die uns im Zusammenhang mit dahin geworfenen Zahlen, Daten und angeblichen Fakten weiterbringen. Zum Nachdenken bringen.
Wie und wie viele Veröffentlichungen über Statistiken sowie über Berechnungen haben und werden mich auch in Zukunft immer wieder ärgern. Warum? Weil es immer mit einer Behauptung und einer Prozentangabe beginnt. Viel zu selten finde ich den Hinweis auf Absolutwerte und die Methodik, die hinter der Prozentangabe oder dem Statement steht. Weder eine Zeitreihe oder überhaupt eine zeitliche Angabe, es wird einfach eine Zahl hin gepfeffert und nun mach was draus, du Leserschaft.
Nguyen-Kim weist zurecht darauf hin, dass keine Angabe unbestritten ist, dass sie wiederholt geprüft und getestet werden muss. Wissenschaft bedeutet Streit. Streit um Methoden, nicht um Meinungen. Hier bringt sie mehrfach Beispiele, um Darstellungen, um Erkenntnisgewinne. Heute soll ein Fakt, getragen in die Öffentlichkeit, für lange Zeit gültig sein. Dem ist nicht so. Und das wird immer wieder vergessen zu erwähnen: jeder Tag bringt neue Zahlen, Fakten, Ergebnisse, die die von gestern überholen. Das wird zu wenig betont. Deshalb wird in der Statistik immer wieder von vorläufigen Daten gesprochen. Doch wenige interessiert das. Genau das ist es, was verunsichert und Wissenschaft in Verruf bringt.
Wissenschaft ist keine Meinung, über die Abgestimmt wird, schreibt Nguyen-Kim. Nein, Studien und ihre Methoden müssen sich beweisen. Das ist in der öffentlichen Meinung noch lange nicht durchgedrungen. Deshalb heißt es plötzlich, auf die Wissenschaft ist kein Verlass. Das Gegenteil ist der Fall. Überprüfen wir nicht ständig wissenschaftliche Erkenntnisse, würden wir heute noch glauben, dass die Erde eine Scheibe ist.
Die Autorin versucht mit sehr vielen Beispielen uns nahe zu bringen, was dieser wissenschaftliche Diskurs bedeutet. Was die Berechnungsmethoden beinhalten. Was Varianz und Kovarianz eigentlich  sind. Ob es ihr gelingt? Im Grunde müssen wir alle eine kleine Statistikeinheit in allen Medien immer wieder eingepaukt bekommen, damit wir auf Scharlatane nicht hereinfallen.
Zum Schreibstil möchte ich sagen, dass Nguyen-Kim sich einiges hat einfallen lassen, um die Menschen zu überzeugen und ihnen etwas beizubringen. Natürlich ist die rote Farbe als „hey, wacht auf, hier kommt etwas wichtiges“ gut gemeint. Meinen Augen hingegen ist sie zu grell geraten. Ein kühles Blau ist vor allem Abends bei wenig Licht besser geeignet. Um die Konzentration aufrecht zu erhalten, ist es auch besser, wenn die gesetzten Informations-Boxen nicht mitten im Text platziert werden, wo sie einen Absatz, ein Wort, einen Satz unterbrechen. Zum Teil musste ich zunächst mehrere Seiten vorblättern, um zunächst zu Ende zu lesen, um mich dann dem Inhalt einer Erklärbox zu widmen. Das ist ärgerlich und stört den Lesefluss. Besser ist es gerade hier, mehr Mut zum Weißraum zu haben. Über die Autorin findet sich genug im Netz, deshalb verzichte ich an dieser Stelle auf bestimmte Seitenangaben.
Viel Spaß mit den Erläuterungen, wer wirklich etwas über Zahlenmagie lernen möchte, ist hier genau richtig.