Rezension

Bedrohlich und fesselnd - ein atmosphärisch dichter Thriller!

Der Schatten - Melanie Raabe

Der Schatten
von Melanie Raabe

Jemand prophezeit, dass du einen Mord begehen wirst... Und du findest heraus, dass du einen verdammt guten Grund hast, diesen Mord zu begehen... Hast du genug Mut, es zu tun? Oder wirst du einfach nur wahnsinnig?

„Am 11. Februar wirst du am Prater einen Mann namens Arthur Grimm töten. Mit gutem Grund. Und aus freien Stücken.“

Das wird Norah – der Hauptperson in Melanie Raabes Psychothriller „Der Schatten“ – von einer unheimlichen Bettlerin prophezeit. Und Norah findet sich fortan in einer Welt wieder, in der sie immer mehr den Boden unter den Füßen verliert.

Melanie Raabe ist ein wunderbar bedrohlicher Psychothriller gelungen, den ich nicht mehr aus der Hand legen konnte! Wenn Alfred Hitchcock noch leben würde – er würde das Buch direkt verfilmen!

Norah ist eine erfolgreiche, junge Journalistin, die nach einer umstrittenen Reportage Hals über Kopf Berlin verlässt, um in Wien ein neues Leben zu beginnen.

Wien empfängt sie kalt und düster und in melancholischsten Farben. Nach der Begegnung mit der Bettlerin verstrickt sich Norah immer mehr in einem Albtraum.

Mit dem 11.2. – dem Tag, an dem sie angeblich einen Mord begehen wird – verbindet Norah ein traumatisches Erlebnis aus ihrer Jugend, vor dem sie lange Zeit flieht. Es kann kein Zufall sein, was die Bettlerin ihr zugeraunt hat. Und solche unwahrscheinlichen Zufälle häufen sich immer mehr in Norahs Leben.

Plötzlich bekommt sie SMS-Nachrichten von einem mysteriösen Unbekannten. Jemand scheint Zugang zu ihrer Wohnung zu haben: Dinge tauchen in ihrer Wohnung auf, Dinge verschwinden wieder. Ihre Freunde benehmen sich merkwürdig. Lügen sie an.

Norah verliert immer mehr die Kontrolle über ihr eigenes Leben. Im Hintergrund scheint eine unheilvolle Macht die Fäden übernommen zu haben und sie wie eine Marionette zu bewegen.

Was für ein Sog dieses Buch entwickelt! Häppchenweise werden dem Leser immer mehr Puzzlesteine aus Norahs dunkler Vergangenheit offenbart. Norah wird mit Dingen aus ihrer Kindheit konfrontiert, die sie lange Zeit verdrängt hatte. Und alles läuft auf den verhängnisvollen 11.2. zu. … Wird Norah tatsächlich einen Mord verüben?

Man weiß nie, ob Norah sich Dinge einbildet und wahnsinnig wird – oder ob sich tatsächlich jemand in ihr Leben einmischt, um es in eine fatale Richtung zu lenken.

Großartig fand ich auch die Anspielungen auf Märchen, auf Filme wie Vertigo und die Schilderung Wiens als gespenstische, verwunschene Stadt.

Dabei entpuppt sich Raabes Buch auch als ein interessanter Beitrag zur derzeitigen MeToo-Debatte.

Einziger Kritikpunkt ist der Schluss. Da hatte ich den Eindruck, dass Raabe etwas zu sehr den vermeintlichen Erwartungen des Publikums entgegenkommt. Und leider auch wirklich alle Rätsel auflöst. Ein anderes Ende, das die Dinge etwas mehr in der Schwebe lässt, wäre meiner Meinung nach überzeugender gewesen.

Dennoch hat das Buch es geschafft, mich auf den letzten Seiten sehr zu berühren.

Unbedingte Leseempfehlung! Ein literarischer, atmosphärisch dichter Psycho-Thriller über die Macht der Manipulationen.