Rezension

Bestes Buch des Jahres bisher

Echo des Schweigens - Markus Thiele

Echo des Schweigens
von Markus Thiele

Bewertet mit 4.5 Sternen

Von Markus Thiele stammt der Roman „Echo des Schweigens“. Bereits der Schutzumschlag macht in seiner Gestaltung – die sich diesmal auch in der Farbgestaltung und Objekten im eigentlichen Umschlag wiederfinden – neugierig. In etwas schmutzig gehaltenen Eierfarben mit geschäftig wirkenden, Schatten werfenden Menschen, wirkt es kühl und berechenbar. Rau und haptisch fühlt es sich an, der Titel auf ein schwieriges Thema hinweisend.

Und so ist es denn auch. Es geht um die grundsätzliche Frage, wie Schuld entsteht und diese gesühnt werden soll, kann und manchmal eben auch nicht. Es geht um Mord, Rache, Gerechtigkeit, Schweigen beziehungsweise Ver-schweigen und wer dafür eigentlich verantwortlich gemacht werden kann. Der Autor, selbst Rechtsanwalt, hat für seinen Roman zwei wichtige Themenbereiche mit Liebesgeschichten verknüpft. Er weist am Ende darauf hin, dass er Vorfälle der Realität mit Fiktion verbunden hat, genauso wie er die Zeitschiene der Geschichte des Zweiten Weltkrieges für seine Figuren passend verändert hat. Vielleicht sollte das eher am Beginn stehen, damit sich keiner ständig Notizen macht, um Unklarheiten im Netz aufzuspüren.

Auf der einen Seite, im Hier und Jetzt, verlieben sich Zwei bei einer Zufallsbegegnung. Er, Anwalt, vertritt einen Polizisten, der des Mordes angeklagt ist, und das nicht zum ersten Mal. Hier kämpft der Anwalt mit seinen Gefühlen und seiner Umwelt zwischen Recht und Gerechtigkeit. Ein in Gewahrsam genommener Mensch verbrennt in einer Zelle, die Hinweise auf einen realen Fall nimmt der Autor in Kauf. Er will zu Diskussionen anregen. Sie, Pathologin, kann aufgrund neuerer Untersuchungen auf eine Wiederaufnahme des Prozesses hinwirken. Und am Anfang wissen beide nicht, dass sie im selben Prozess aufeinander stoßen werden. Hier gefällt mir bei ihr, dass sie ihr Arztauge bei jeder Begegnung mit anderen Menschen nicht ausschalten kann. Sie sieht bei jedem Symptome und benennt sie in Gedanken mit Namen, Ursache und Wirkung.

Auf der anderen Seite steht die Judenvernichtung im Zweiten Weltkrieg im Mittelpunkt. Auch hier passiert eine ungeheuerliche Liebschaft zwischen einer Jüdin und einem Industriellensohn christlicher Abstammung. Er will ihr zur Flucht verhelfen, doch es will einfach nicht funktionieren. Ob es die SS, Bombenhagel oder der eigene Bruder ist, er kann seiner Liebe nicht helfen. Die Eindringlichkeit mit der der Autor beschreibt, wie sein Protagonist voller Sehnsucht nach Zärtlichkeit, Liebe, Geborgenheit, Nähe, Zuversicht und Vertrauen sucht, die er eben nicht bei seiner Frau sondern bei einer ihm völlig Fremden findet, rührte mich zutiefst.
Am Anfang dachte ich, warum zwei so wichtige und wirklich gut beschriebene Storys in einem Buch. Warum gönnt der Autor nicht jeder Geschichte ein eigenes? Doch Seite für Seite, Kapitel für Kapitel, wird klar, warum. Beide Liebespaare in ihren jeweiligen Epochen haben mit dem Rechtssystem zu kämpfen. Und nicht nur das: bei dem Älteren leiden auch die nächsten Generationen unter dem Unrecht und den Folgen. Im Zweiten Weltkrieg ist der nicht geahndete Mord an der Tagesordnung, Rache oder Sühne durch ein Verfahren kaum möglich. Und in der heutigen Zeit? Kann die Rechtsprechung und die Regularien, an denen sich Anwälte und alle Beteiligten zu halten haben, auch nicht immer zu Recht verhelfen.

Die bitteren Erkenntnisse der Vergangenheit wirken sich in die Zukunft aus, zum Teil unsagbar traurig und mit kaum zu wiedergutmachenden Taten. Um so mehr hat mir gefallen, dass der Autor seinen Protagonisten Zeit gibt sich zu entwickeln.
Die Sichtweisen der Beteiligten im dargestellten Prozess gegen den Polizisten kommen mir vor allem von der Gegenseite ein wenig zu kurz, dafür ist das Hadern des Verteidigers direkt greifbar, spürbar.
Ein Buch, das ich kaum aus der Hand gelegt habe, für mich bisher das Highlight dieses Jahres. Mehr über das Buch findet sich zum Beispiel unter: https://www.echo-des-schweigens.de/