Rezension

Brillant erzählt - düster, skurril und absolut fesselnd

Der Atem einer anderen Welt - Seanan Mcguire

Der Atem einer anderen Welt
von Seanan McGuire

Bewertet mit 4 Sternen

Das Buch "Der Atem einer anderen Welt" vereint die preisgekrönte Fantasy-Novelle "Every Heart a Doorway" mit den beiden Folgebände "Down Among the Sticks and Bones" und "Beneath a Sugar Sky" von der Autorin Seanan McGuire. Durch das Zusammenfassen der drei Geschichten ist ein außergewöhnliches Werk entstanden. Die Autorin schreibt so intensiv und mitreißend, dass man das Buch nicht mehr aus der Hand legen möchte. Insgesamt ist „Der Atem einer anderen Welt“ recht speziell und wird nicht alle Leser ansprechen, doch ich bin absolut begeistert und hoffe, dass der vierte Band „In an Absent Dream“ auch noch übersetzt wird.

Der erste Teil des Buches spielt in der realen Welt. Schauplatz der Geschichte ist ein ganz spezielles Internat: Eleanor Wests Haus für Kinder auf Abwegen. Hier betreut Eleanor Kinder, die einst in eine andere Welt gereist sind und dort ein Zuhause gefunden haben. Doch nicht jede Tür zu einer anderen Welt verspricht ein Happy End. Jene Kinder, die andere Welten bereist und wieder verlassen haben, taten dies zumeist nicht freiwillig. Ausnahmslos jedes der Kinder sehnt sich danach, die Tür wiederzufinden, die zurück in die andere Welt führt. In der realen Welt kommen sie kaum noch zurecht und entwickeln sich zu Fremden für Freunde und Familie. Stellt euch vor, ihr hättet jahrelang in einem Wunderland gelebt. Freunde und Eltern verblassen und andere Menschen (oder Wesen) treten an ihre Stelle, geben den Kindern Liebe und eine Aufgabe. Bis eines Tages der Zeitpunkt kommt, an dem die Kinder diese Welten wieder verlassen müssen. Sie verlieren erneut alles und sollen sich von jetzt auf gleich in der Realität zurechtfinden. Eleanor ist ebenfalls eine Weltenreisende und kennt daher den Schmerz und die Sehnsüchte der Kinder. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, in der Realität gestrandeten Kindern ein Zuhause zu geben. Doch nicht alle Kinder akzeptieren, dass sich Ihre Tür wahrscheinlich kein zweites Mal öffnen wird. Schon bald wird sich offenbaren, wie weit ein traumatisiertes Kind gehen würde.

Die erste der drei Geschichten hat mir sehr gut gefallen. Dank des wundervollen Schreibstils erlebt man die Geschichte hautnah mit, als wäre man ein Teil davon. Der Autorin gelingt es meisterlich, Bilder im Kopf des Lesers entstehen zu lassen und schildert eindringlich die Geschichte der gestrandeten Kinder. Ihr gelingt es perfekt, die Andersartigkeit der Kinder darzustellen. Auf der einen Seite bleiben die Charaktere recht eindimensional, auf der anderen Seite hat Seanan McGuire sie so skurril und einzigartig skizziert, dass sie im Kopf bleiben. Dem Leser fällt es schwer, mit den Charakteren mitzufühlen, denn sie ecken in der Realität überall an, sind oft unnahbar und kühl. Zudem kann man ihre Sehnsüchte teilweise nicht nachvollziehen, da sie in unseren Augen einfach nur verrückt erscheinen. Wer sehnt sich schon danach, die Haut abzustreifen und in einer Skelettwelt zu leben. Oder das Leben als Statue in einer Halle zu verbringen. Aber genau das macht den Reiz des Buches aus. Unweigerlich stellt man sich die Frage, wie das Leben der Kinder ausgesehen haben mag, dass dermaßen verrückte Welten Ihnen Geborgenheit und Frieden schenken.

Im zweiten Teil des Buches darf der Leser einen genaueren Blick in eine der Welten hinter den Türen werfen. Die Reise führt in das Moor, eine harte und grausame Welt, die die Zwillinge Jack und Jill bereist haben. Die Geschichte der Zwillinge würde ich im Bereich Dark Fantasy einordnen. Insgesamt sind der erste und zweite Teil des Buches sehr düster und teilweise morbide. Es gibt einige blutige und grausame Szenen und dem Tod mutet fast schon etwas Beiläufiges an. Er scheint allgegenwärtig zu sein und man hat oft den Eindruck, dass die Kinder sich nicht so richtig darüber bewusst sind, dass der Tod das Ende eines Menschen bedeutet und dieser nicht einfach nur in einer anderen Welt verschwunden ist. Der Tod wird oft nebensächlich behandelt, als wäre er nichts weiter als eine Trivialität des Lebens. Man hat teilweise fast den Eindruck, als wäre ein Teil der Kinder gestorben, als sie in die Realität zurückgekehrt sind. Einige Antworten liefert die Geschichte von Jack und Jill. Die Autorin zeigt sehr genau auf, welche Fehler Eltern machen können, die ein Kind später in eine falsche Richtung lenken können. Gerade die Mischung aus Realität, Kritik an der Gesellschaft und düsteren Fantasyelementen hat mir sehr gut gefallen. Bis zum Ende des zweiten Teiles hätte ich die volle Punktzahl vergeben. Die letzte Geschichte war leider überhaupt nicht mein Fall. Zum einen geht zum Ende hin der wunderbar atmosphärische Schreibstil verloren und zum anderen war mir die letzte Geschichte zu süß, zu klebrig und ehrlich gesagt auch zu „unrealistisch“. Dieses Wort benutze ich eigentlich niemals im Zusammenhang mit Fantasybüchern, aber "Beneath a Sugar Sky" war mir tatsächlich zu verrückt und abgehoben. Ich hatte mich wahnsinnig auf die Reise in dieses Schlaraffenrand gefreut, aber es fehlte insgesamt einfach an Raffinesse, sowohl in Bezug auf den Schreibstil, als auch auf den Inhalt.

„Der Atem einer anderen Welt“ von Seanan McGuire ist ein absolut ungewöhnliches Buch, das den Leser in die düstere Tiefe fremder Welten entführt. Die Geschichte hat mich auf der einen Seite fasziniert, dann aber in bestimmten Momenten auch schockiert. Die Autorin überzeugt mit einem großen Ideenreichtum und düsteren Fantasy-Elementen. Obwohl mir die dritte Geschichte nicht gefallen hat, ist dieses Buch ein Highlight und wird mit Sicherheit mehr als einmal von mir gelesen werden.