Rezension

Brisantes Thema perfekt umgesetzt!

Todesengel - Andreas Eschbach

Todesengel
von Andreas Eschbach

Bewertet mit 5 Sternen

"Wir Menschen sind es, die die Welt zu einem schrecklichen Ort machen. Weil wir so verblendet sind. Nicht sehen, worauf es ankommt im Leben. Weil wir das Leben selbst gering schätzen." S. 417

Klappentext

Ein strahlend weißer Racheengel geht um in der Stadt, heißt es, der überall dort auftaucht, wo Unschuldige in Gefahr sind, und diejenigen, die ihnen Gewalt antun, brutal bestraft: Ist das wirklich nur die Schutzbehauptung eines alten Mannes, der Selbstjustiz geübt hat? Ein Journalist deckt auf: Es gibt diese Gestalt tatsächlich – er kann es beweisen. Und damit nimmt das Verhängnis seinen Lauf …

Meine Meinung

Gleich zu Beginn bekommt man eine erschreckende Szene vorgesetzt, wie man sie mittlerweile leider schon aus den Nachrichten kennt. Zwei Jugendliche verprügeln einen älteren Herrn, weil der sich erlaubt hat, sie anzusprechen. Der alte Mann, Erich Sassbeck, rechnet schon damit, totgetreten zu werden, denn ein weißer Engel erscheint ihm - doch dann passiert das Unfassbare: Dieser Engel knallt die beiden Schläger einfach ab und verschwindet wieder.
Bei der Polizei hinterlässt das ganze natürlich viele offene Fragen und als sich auch noch die Presse dem Thema annimmt, kommt etwas ins Rollen, das selbst der Journalist Ingo Praise so nicht vorhersehen konnte.

Der Schreibstil ist ausdrucksstark und flüssig zu lesen, es wird auf Details geachtet und ich war immer nah am Geschehen. Eschbach wechselt hier gekonnt zwischen den Perspektiven und vermittelt damit einen guten Überblick. Hauptsächlich begleitet man den Journalisten Ingo Praise, der die Story des "Racheengels" aufbauscht und einige Menschen ins Fernsehstudio holt, die selbst Opfer waren und vor Gericht standen, weil sie sich gewehrt haben. Zum anderen geht es um Kommissar Justus Ambick. Natürlich ist er kein Freund von Selbstjustiz und geht jeder Spur nach, die ihn dem Mörder näher bringen könnte. Aber es gibt auch noch andere Figuren, scheinbar nur am Rande, die eine wichtige Rolle in dem ganzen Drama spielen. Sie zeigen die Gefühle und Reaktionen von Menschen, wie sie auf die Konfrontation mit Gewalt reagieren.
Jeder der Charaktere hat seine Geschichte, seine Vergangenheit, die auch bei kurzen Auftritten treffend und greifbar vermittelt wird.

Die kleinen Cliffhanger haben mich schnell durch die Seiten getrieben und es gab viele Details, die mich nach und nach zum Verständnis und zur Aufklärung führten, was es mit dem Racheengel auf sich hat. Es gibt natürlich auch ein paar heftige Szenen, bei denen sich der Autor aber durch eine knappe Einfachheit zurückgehalten hat.

Was Eschbach hier anspricht ist ein hochbrisantes Thema. Die deutsche Rechtssprechung gegenüber jugendlichen Straftätern, der Selbstschutz von Opfern (wie weit darf ich gehen?), wie sinnvoll ist Zivilcourage, wenn danach der Richter auf mich wartet ...
Viele Fragen zur Rolle von "Täter" und "Opfer", was passiert, wenn man sich wehrt, wenn man zurückschlägt? Ich gehe mal davon aus, dass hier wieder gut recherchiert wurde und es ist wirklich erschreckend, diese Realität im Strafprozeßdschungel so vor Augen geführt zu bekommen. Das heißt aber nicht, dass man sich hier durch Gerichtsverhandlungen lesen muss, die Geschichten werden von den Personen selbst erzählt und nur soviel angeschnitten, dass man einen kleinen Eindruck gewinnen kann, was (falsch) läuft.

Woher kommt die Gewaltbereitschaft? Kann man alles auf die Erziehung, die Lebensumstände oder die Gesellschaft abwälzen? Ist jeder frei zu entscheiden, welchen Weg er wählt?
Wenn man sich die Betroffenen einer Katastrophe anschaut, einer Gefahrensituation oder nur eines Konfliktes sehen wir ganz genau, wie unterschiedlich jeder reagiert. Das weiß man und erwartet man auch nicht anders. Im Grunde genommen hätten wir ja alles im Kopf gespeichert, wir wissen genau, wie wir uns zu verhalten haben und trotzdem: Die Reaktion und Verarbeitung ist so unterschiedlich wie die Menschen selbst. Jeder Mensch ist anders und verarbeitet seine Erfahrungen aufgrund seiner ihm eigenen Persönlichkeit.

"Sie betrachtete ihn und fragte sich, ob es ihm womöglich im Grunde genauso ergangen war wie ihr. Nur, dass er sich nicht in einem Haus versteckt hatte, sondern in seiner eigenen Seele." S. 520

Der Autor bezieht keine Stellung und lässt dem Leser völlig offen, sich eine eigene Meinung zu bilden. Der Schluss ist zwar etwas konstruiert, passt aber einfach perfekt zur Handlung und das dramatische Ende hat mich einige Tränen gekostet.

Fazit

Teilweise erschreckendes, sehr nachdenklich machendes und vor allem beeindruckendes Werk, wie ich es von Andreas Eschbach gewohnt bin. Das schwierige Thema der Gewaltbereitschaft, der Täter- und Opferrolle hat er sehr gekonnt und spannend beleuchtet und dem Leser selbst überlassen, was er daraus macht.

© Aleshanee
Weltenwanderer