Rezension

Bunt, laut, mutig, klug - im Weitwinkel, statt im Zoom

Mädchen, Frau etc.
von Bernardine Evaristo

Bewertet mit 4 Sternen

Okay, stellt euch vor, dieses Buch wäre eine Einladung zu einem gemeinsamen Abend. Mit Bernadine Evaristo als Gastgeberin und zwölf Frauen, die eingeladen sind, um ihre Geschichte zu erzählen. Geschichten schwarzer Frauen aus Großbritannien über Herkunft und Identität. Was ich von diesem Buch erwartete war im Bilde gesprochen ein ruhiger Abend in einem gemütlichen Wohnzimmer mit einem Glas Wein in der Hand und persönlichen Lebensgeschichten, die mich beeindrucken, berühren, erschüttern, zum Nachdenken bringen. Was ich dann allerdings bekam war ein erleuchteter Vorlesungssaal, ein buntes Stimmengewirr, kritische Zwischenrufe und Nachfragen, eine lebendige Debatte.

 

Seht es mir nach, dass ich mich nach den ersten Kapiteln erschlagen gefühlt habe. Es fiel mir schwer, die erzählenden Personen im Fokus zu behalten und in ihre Lebenswirklichkeit einzutauchen. Im Vordergrund standen für mich Argumente, Sichtweisen, ein Sich-Verhalten zu aktuellen Diskursen rund um intersektionalen Feminismus und Antirassismus. Eine spannende Auseinandersetzung, keine Frage! Doch während es vor politischen Statements nur so wimmelte, sind mir die Personen gefühlsmäßig oft nicht sehr nahe gekommen, sodass die Auseinandersetzung bei mir eine vorwiegend intellektuelle war und weniger eine empathische Annäherung an die vielfältigen Lebenshintergründe. Vielleicht hat dazu auch der sehr experimentelle Schreibstil beigetragen, denn ohne Punkte am Satzende, mit kleingeschriebenen Satzanfängen und Zeilenumbrüchen mitten im Satz bin ich begleitet von diesem rhythmischen Sound nur so durch die Seiten geflogen.

 

Was mir definitiv gefallen hat war der locker-humorvolle Stil von Evaristo, die einzelne Argumente klug aus den Angeln hebt, herumwirbelt, selbstironisch aufhebt und durch die verschiedenen, ineinandergreifenden Sichtweisen stets auch andere Perspektiven zulässt. Stark fand ich die feine Darstellung von Konflikten zwischen den Generationen - wie sich über die Jahre hinweg ändert, was radikal ist und was Establishment, wer sozialen Aufstieg definiert, wer anderen neue Wege aufzeigt und dann von seinen super woken Kindern überholt wird. Ich hatte beim Lesen das Gefühl, dass Raum dafür gelassen wird, dass verschiedene Personen sich unterschiedlich tief mit den Themen auseinandergesetzt haben und dass im Zentrum nicht ein kategorisches Richtig und Falsch, sondern die Menschlichkeit steht. Mit ein wenig mehr Tiefe statt Breite hätte mich das Buch definitiv mehr überzeugen können, aber auch so mag ich es in meinem Bücherregal nicht mehr missen.