Rezension

"Dein Problem ist, dass du noch immer glaubst, dein Leben gehöre dir."

Alles Licht, das wir nicht sehen
von Anthony Doerr

„Dein Problem ist, dass du noch immer glaubst, dein Leben gehöre dir."

Zunächst lernen wir das 6-jährige französische Mädchen Marie-Laure kennen, die gemeinsam mit ihrem Vater im Paris des Jahres 1934 lebt. Bisher hatte sie es in ihrem Leben nicht gerade leicht, denn ihre Mutter starb kurz nach ihrer Geburt und innerhalb kürzester Zeit erblindete Marie-Laure. Doch ihr Vater, der im naturhistorischen Museum in Paris als Schlosser arbeitet, setzt alles in Bewegung, um seiner Tochter eine glückliche und unbeschwerte Kindheit zu ermöglichen. Als jedoch 1940 der zweite Weltkrieg auch in Frankreich Einzug hält, beschließt Maries Vater, dass sie aus der Stadt und zu ihrem Großonkel an die Küste fliehen müssen. Mit dabei: ein sagenumwobener Edelstein aus dem Museum, der vor der Zerstörung gerettet werden soll und angeblich einen Fluch birgt…

Eine zweite Perspektive, in die wir eintauchen dürfen, ist die des deutschen Waisenkindes Werner Hausner, der mit seiner Schwester im Ruhrgebiet aufwächst, wo sein Vater in einer der Kohleminen umkam. Doch Werner möchte auf gar keinen Fall wie alle anderen Jungen mit 15 Jahren hinunter in die Kohleminen gehen und ein so elendiges Dasein führen, nein er möchte ein Ingenieur werden, ein Techniker, einer der das Reparieren von Radios zu seinem Beruf machen kann. Wir begleiten Werner also bei seinem ehrgeizigen Streben und seinem persönlichen Weg in den Krieg.

„Alles Licht das wir nicht sehen“ ist vor allem einzigartig. Es ist auf eine einzigartige, sehr seltene Weise berührend, erschütternd, bewegend und unendlich poetisch.

Die Worte, die der Autor benutzt, um die Bilder, die Atmosphäre in unseren Köpfen zu schaffen, das sind nicht einfach nur Worte, das ist Kunst. Selten habe ich ein solches Buch gelesen, aus dem nahezu jeder Satz auf 500 Seiten zitierfähig gewesen wäre und kein Wort zu viel war. Eine wahre Meisterleistung ist das, die man einfach selbst gelesen haben muss, um zu verstehen, warum dieses Buch so großartig und vielschichtig ist. Vermutlich muss man es auch noch ein zweites und ein drittes Mal gelesen haben, um es in aller seiner Kraft und Größe begreifen zu können.

Dieses Buch ist anders als andere Bücher über den zweiten Weltkrieg, denn es lässt uns nicht nur in die historische Wirklichkeit der 1940er Jahre eintauchen, sondern katapultiert uns mit voller Wucht ins Innenleben und die komplizierte Gefühlswelt der Menschen, die dabei gewesen sind. Hat man das Buch fertig gelesen, so fühlt es sich an, als stiege man aus einer Zeitmaschine aus, als kehrte man zurück in das Jahr 2015 und als könnte man nun seine eigene Zeit mit völlig anderen Augen sehen.

Alles in allem ist dieses Buch absolut lesenswert, denn man kann aus dieser Lektüre nur verändert und nachdenklich heraus gehen.