Rezension

Ein wunderschönes Buch

Alles Licht, das wir nicht sehen
von Anthony Doerr

Bewertet mit 5 Sternen

„...Die Jungen um ihn herum kamen Werner wie berauscht vor. Als füllten sie ihre Gläser nicht mit dem kalten Wasser Schulpfortas, sondern mit einem Geist, der sie benommen machte und blendete...."

 

Es ist der 7. August 1944. Sirenen heulen über Saint-Malo. In einem Haus steht die 16jährige blinde Marie-Laure LeBlanc vor dem Modell der Stadt, das ihr der Vater gebaut hat. Wenige Meter entfernt sitzt der Soldat Werner Hausner im Keller des Hotel des Abeilles und überprüft die Batterie seines Funkgerätes. Dann fallen Bomben auf die Stadt.

Der Autor hat einen berührenden Roman geschrieben. Schon die ersten Seiten haben mich in ihren Bann gezogen.

Im Mittelpunkt des Buches stehen zwei junge Menschen: die Französin Marie-Laure und der Deutsche Werner Hausner. Im Buch gebt es demzufolge drei Erzählstränge. Ich als Leser darf zum einen das Leben von Marie-Laure, beginnend mit ihrer Erblindung im Alter von sechs Jahren, zum anderen díe Entwicklung des Waisenjungen Werner, dessen Vater tödlich in einem Schacht verunglückt ist, verfolgen. Neben diesen beiden Handlungssträngen in der Vergangenheit gibt es einen dritten im Jahre 1944.

Das Buch hat einen hohen Spannungsbogen. Der entsteht durch die vielschichtige Handlung, durch die komplexe Entwicklung der Protagonisten und durch die historischen Gegebenheiten, in die die Geschichte eingebettet ist.

Das Buch besticht durch einen ausgefeilten Schriftstil. Die bildhafte Sprache voller treffender Metapher, die gekonnte Wiedergabe von Emotionen und die Verwendung immer wiederkehrenden Symbole macht das Lesen zu einem Erlebnis. Zwei der Symbole sind ist das Licht und der Schlüssel, dass wie ein roter Faden an entscheidenden Stellen der Handlung ins Spiel kommen. Ab und an ist es die Musik, die plötzlich Erinnerungen wachruft, die das Handeln hinterfragen. Die kurzen Kapitel wirken wie Momentaufnahmen des Lebens. Andererseits werden bestimmte Situationen fast detailgenau wiedergegeben. Und immer sind Worte und Sätze so gewählt, dass eine Entwicklung spürbar ist. Deutlich wird das in Schulpforta, einer Eliteschule. Jeder neue Jahrgang beugt sich den grausamen und menschenfeindlichen Devisen schneller und bereitwilliger. Widerstand ist lebensgefährlich. Obiges Zitat stammt von dort.

Ein liebevoller Vater, eine Erzieherin, der die Kinder am Herzen liegen, und eine engagierte Haushälter stehen einer immer brutaler werdenden Welt gegenüber.

Das Buch vereint in sich nicht nur zwei Lebensgeschichten. Das Leben all diejenigen, die mit Marie-Laure und Werner in Berührung kommen, erzählt im Buch seine eigene Geschichte. Dabei ist es dem Autor gelungen, oft durch wenige Worte oder eine kurze Szene die psychologischen Tiefen der Handelnden auszuloten und wiederzugeben. Briefe aus der Ferne beziehen die Abwesenden mit ein. Sie zeugen von Zuneigung und Liebe.

Das glitzernde Cover in verschiedenen Blautönen mit der Stadt am Meer wirkt edel.

Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Auf beeindruckende und emotional tief berührende Weise wurde anhand von Einzelschicksalen gezeigt, wie im Krieg die Talente und Gaben der Menschen für die Zwecke der Herrschenden ausgenutzt werden. Dem gegenüber stehen Menschlichkeit und Liebe, die wie ein Licht in dunkler Zeit wirken.