Rezension

Die Geschichte eines Viertels in den 60er Jahren

Harlem Shuffle -

Harlem Shuffle
von Colson Whitehead

Bewertet mit 4 Sternen

Der neue Roman des zweifachen Pulitzerpreisträgers Colson Whitehead spielt in Harlem in den Sechzigerjahren. Der Protagonist Ray Carney ist im Möbelankauf und -verkauf tätig. Sein Weg zum eigenen Geschäft war steinig. Er musste sich hochkämpfen und eine Kindheit hinter sich lassen, die vom Alkoholismus und der Abwesenheit seiner Eltern geprägt war. Nun ist er selbst Vater einer Tochter und erwartet mit seiner Frau ein weiteres Kind. Er träumt davon, seiner Familie ein noch besseres Leben bieten zu können, insbesondere eine schönere Wohnung. 

Als Ray durch seinen Cousin Freddie in einen Raubüberfall auf ein Hotel verstrickt wird, bekommt Rays so mühselig aufgebaute Fassade Risse und er rutscht immer tiefer in die kriminelle Welt Harlems hinein, in der Drogen, Gangs, korrupte Polizisten, Schutzgelder, Drohungen und Rache an der Tagesordnung sind. 

Vor dem Hintergrund der Rassenunruhen entfaltet Whitehead eine Geschichte, die Soziographie und Zeitgeschichte in einem ist. Er stellt Harlem als einen abgeschotteten Raum dar, der seine Bewohner in ganz bestimmten Strukturen festhält. Ein sozialer Aufstieg scheint fast unmöglich und deshalb ist die Kriminalität allgegenwärtig. Ray Carney steht stellvertretend für den Versuch des Aufstiegs, für den Willen, den ihm zugewiesenen Platz in der Gesellschaft nicht zu akzeptieren und für das Unvermögen, sich vollständig von der Kriminalität abzugrenzen. Denn ein Aufstieg mit legalen Mitteln ist nicht vorgesehen. 

“Wie die meisten Bewohner von Harlem war Carney mit Glasscherben auf dem Spielplatz, der allgegenwärtigen Straßenbrutalität bei jedem Gang vor die Tür und dem Krachen von Schüssen groß geworden.”

Whitehead fängt das Leben der Menschen, die Atmosphäre Harlems in den Sechzigerjahren und die Veränderungen, die innerhalb der Gesellschaft stattfinden, ein. Es ist die Vielschichtigkeit der Geschichte und die Glaubwürdigkeit der Charaktere, die den Roman auszeichnen. 

Im Vergleich zu seinen beiden berühmten Romanen “Underground Railroad” und “Die Nickel Boys” nimmt sich Whitehead in “Harlem Shuffle” mehr Zeit. Er geht auf die Hintergründe von Figuren ein, die teilweise nur ein Mal auftauchen, hat keine Angst vor langen Szenen und erzählt auf eine Weise, die weniger klar und zielgerichtet ist, als man es von seinen beiden Bestsellern gewöhnt ist. 

“Harlem Shuffle” ist anders, ist ausschweifender. Aber wenn man sich dem langsamen Erzähltempo öffnet und wenn man bereit ist, sich in einem Geflecht an Figuren zurechtzufinden, dann ist auch dieser Roman lesenswert.