Rezension

Die Stunde der Rache

Die Akademiemorde
von Martin Olczak

Bewertet mit 4 Sternen

„Das Buch hatte ihre gesamte Aufmerksamkeit verlangt. Sie hatte sich an der Universität beurlauben lassen, hatte sich bei den Donnerstagstreffen der Akademie entschuldigen lassen, hatte auf das Jubiläumsbankett des Vorabends verzichtet. In den letzten Tagen hatte sie ununterbrochen gearbeitet, hatte den Telefonstecker herausgezogen, um in Ruhe arbeiten zu können. Sie nippte an ihrem mit Honig gesüßten Tee und betrachtete das Nachwort, zwei besorgte Falten zeigten sich auf ihrer Stirn, als sie zum Kugelschreiber griff. Sie machte eine Notiz am rechten Rand, strich sie aber sofort wieder durch. In diesem Moment hörte sie ein vertrautes Geräusch: die Balkontür im Wohnzimmer glitt auf, und behutsame Schritte tappten über den Parkettboden. Widerwillig riss sie ihren Blick vom einleitenden Absatz des Nachwortes, erhob sich von der Küchenbank und lief durch die Wohnung. „Ach, jetzt kommst du also gnädigerweise nach Hause, Tolstoi? Du hast natürlich Hunger.“ Aber das Wohnzimmer war leer, der graue Abessinierkater war nirgendwo zu sehen. Sie schaute unter dem Sessel und hinter der handbemalten Truhe nach, die beiden Lieblingsplätze des Katers waren leer. Als die Bodenbretter knarrten, drehte sie sich mit einem Lächeln auf den Lippen um, aber es war nicht Tolstois zutraulicher Blick, der sie hier erwartete. Vor ihr stand eine dunkle Gestalt, ein Mann. Er trug einen schwarzen, abgenutzten Gehrock und Halbschuhe, auf dem Kopf hatte er einen Zylinder. Die Sonnenstrahlen fielen durch das Fenster über seine hohen Wangenknochen und beleuchteten die scharfen Gesichtszüge. Sonja starrte den Mann entsetzt an, sein Gesicht, das fremd und vertraut zugleich war. Sie öffnete den Mund zu einem lautlosen Schrei, aber die Angst steckte ihr wie ein Korken in der Kehle, und sie brachte nur ein Flüstern heraus: „D-du?“ Der Mann antwortete laut: „Ja, das bin ich.“ Aus der rechten Rocktasche zog er dann einen Revolver mit Perkussionsschloss. Langsam hob er die Handfeuerwaffe, und mit einer leichten Daumenbewegung schob er den versilberten Hahn zurück. „Ich bin da. Endlich.“

Sonja Bergwall, ein angesehenes Mitglied der Schwedischen Akademie, die alljährlich den Nobelpreis für Literatur vergibt, wird ihr Buch nicht mehr beenden können. Sie stirbt, ermordet von einem geheimnisvollen Täter mit einem altertümlichen Schwarzpulverrevolver. Bei Claudia Rodriguez von der Zentralen Mordkommission schrillen sofort sämtliche Alarmglocken, wurde doch kurz zuvor der Ständige Sekretär der Schwedischen Akademie mit der gleichen (und vermutlich auch derselben) Waffe getötet. Hat der Täter es etwa auf die Mitglieder der Akademie abgesehen? Schon bald gibt es ein weiteres Opfer und der Verdacht wird zur traurigen Gewissheit. Ein verzweifelter Kampf um das Leben der restlichen Mitglieder beginnt, bei der der Täter immer wieder eine erstaunliche Kreativität demonstriert. Erschwerend kommt hinzu, dass Claudia aus eigenen Reihen ständig Steine in den Weg gelegt werden. Sie ermittelt schließlich auf eigene Faust - unterstützt durch einen alten Freund, den Buchantiquar Leo Dorfman...

 

Auf diesen Krimi war ich neugierig geworden durch seinen engen Bezug zur Welt der Bücher. Und ist es nicht auch spannend, wenn eine Mordserie scheinbar mit dem Literaturnobelpreis zusammenhängt? Auch darüber hinaus werden Bücher oft erwähnt - einem Leser aus Leidenschaft geht dabei das Herz auf. Kleines Beispiel gefällig? 

„Mitten im Archiv standen Claudia und Leo, umgeben von Bücherregalen und Tausenden von geheim gehaltenen Schriftstücken. Eine feierliche Stimmung ruhte über dem Kellergewölbe, etwas Beängstigendes, die kühle Luft umstrich sie wie Wiedergänger in einer heimgesuchten Grabkammer. Tote Schriftsteller lebten noch immer in den Aktenschränken wie Gespenster aus Lumpenpapier und Tinte. Altertümliche Bücher, Protokolle, Korrespondenzen, vor Jahrhunderten von Dichtern und königlichen Hoheiten mit der Hand geschrieben.“ 

Auch schön: Vor jedem Kapitel findet sich ein Eintrag, der einen Literaturnobelpreisträger benennt, mit dem entsprechenden Jahr und der Begründung der Akademie. Sehr interessant zu lesen!

 

Die Handlung verläuft in mehreren Erzählsträngen: Mal begleiten wir Claudia und Leo bei ihren Ermittlungen, mal die Polizei und zwischendurch auch den Täter. Spannend geschrieben bleibt man gerne dran (bei mir wurde es auch recht spät in der Nacht ;-) Der Täter ist wirklich sehr einfallsreich – lasst euch überraschen!

 

Ein bisschen was hab ich aber zu kritisieren. Erstens: Ich kann kein Latein. Hin und wieder tauchen aber lateinische Sätze oder Überschriften auf, was sehr gut aussieht und auch passend ist. Ich hätte mich aber über eine Übersetzung in der Fußnote oder im Anhang gefreut, denn ich saß längere Zeit mit dem Buch in einem Wartezimmer ohne Internetempfang und hatte daher nicht die Möglichkeit, sofort zu klären, was da so steht. Hat mich ein bisschen geärgert.

Darüber hinaus werden für meinen Geschmack ein paar Klischees zu viel bemüht. Claudia zum Beispiel ist der Prototyp einer durchsetzungsfähigen und selbstbewussten Polizistin. Sie ist jung, taff und hat den Großteil ihrer Jugend in Boxstudios verbracht. Darüber hinaus ist sie chilenischer Abstammung. Ihr Gegenspieler bei der Polizei zeichnet sich durch Frauenfeindlichkeit aus, vermutet Sprachprobleme und traut ihr rein gar nichts zu. Und der Leitungsebene ist bei dem ganzen Fall nur das äußere Ansehen gegenüber der Presse und der Öffentlichkeit wichtig.

Der Antiquar Leo ist auch genauso, wie man sich einen Antiquar vorstellt. Ein Eigenbrötler, immer am Rand des Existenzminimums, lebt für und zwischen seinen Büchern, weiß alles, was man über Bücher wissen kann und in seinem erstaunlichen Antiquariat findet sich beinahe für jedes Problem das passende Nachschlagewerk. Sehr sympathisch, aber klischeebelastet.

Und als letzten Kritikpunkt habe ich die eine oder andere - in meinen Augen - unlogische bzw. total unrealistische Stelle ausgemacht. Da ich aber ansonsten wirklich sehr glücklich mit dem Buch war, ziehe ich insgesamt nur einen Punkt ab.

 

Fazit: Kreativer Serienmörder erschüttert die Literaturszene – spannend!

Kommentare

Janine2610 kommentierte am 12. Dezember 2014 um 10:10

:-) Ein Krimi, in dem Bücher auch eine größere Rolle spielen, finde ich gut! ;)