Rezension

Die Worte der weißen Königin

Die Worte der weißen Königin - Antonia Michaelis

Die Worte der weißen Königin
von Antonia Michaelis

Zum Inhalt:

Lion lebt mit seinem Vater in einem kleinen Haus an der Ostsee und verbringt seine Zeit am liebsten mit den Seeadlern. Er liebt es, sie dabei zu beobachten, wie sie frei und glücklich hoch am Himmel durch die Luft kreisen. Dort findet er auch Trost, wenn sich sein Vater unter Alkoholeinfluss in den schwarzen König verwandelt und ihn misshandelt. Als Lion es zuhause nicht mehr aushält, ist es auch ein Adler, der ihm den Weg in die Freiheit ermöglicht. Er flüchtet in den Wald und lebt dort mit den Seeadlern. Doch Lion ist mit seiner Flucht noch nicht am Ende seines Wegs angekommen. Er möchte unbedingt die weiße Königin wiederfinden – eine alte Frau mit weißen Haaren, die Lion und anderen Kindern vor langer Zeit aus Büchern vorgelesen hat und ihm so die schönsten Worte geschenkt hat. Worte, die ihm Kraft gegeben haben. Worte, die er fast schon vergessen hat…

Meine Meinung:

Nach “Der Märchenerzähler” war “Die Worte der weißen Königin” mein zweites Buch von Antonia Michaelis. Und ich kann vorab schon mal sagen, dass ich wieder absolut begeistert und zutiefst berührt bin.

“Während ich dem Seeadler zusah, sammelte ich alle Kraft in mir, die ich hatte. Kraft, um zu fliehen. Ich wusste: Ich musste an etwas Helles, Schönes, Warmes denken, um diese Kraft zu sammeln. Und ich dachte daran, wie alles gewesen war, bevor es den schwarzen König gab.” (Seite 11)

Lion, den „Helden“ dieser Geschichte (und für mich hat er dieses Attribut wirklich verdient), habe ich bereits nach wenigen Seiten fest in meinem Herzen verankert. Denn Antonia Michaelis hat mit dem aufgegriffenen Thema einen Nerv bei mir getroffen. Und zwar so sehr, dass sich mein Herz während des Lesens gar nicht mehr beruhigen wollte und konnte. Kein Kind sollte als elterlicher Sündenbock herhalten müssen. Kein Kind sollte emotional und/oder körperlich misshandelt werden müssen. Kein Kind sollte den willkürlichen Übergriffen von Eltern ausgesetzt sein müssen, nur weil diese ihr Leben nicht im Griff haben und mit sich selbst unzufrieden sind. Kein Kind sollte das erleben müssen, was Lion aushalten muss. Sollte… Doch leider geschieht das in unserer Welt jeden Tag unzählige Male.

Die Art und Weise der Autorin, wie sie die Geschichte von Lion niedergeschrieben hat, hat mich schlicht fasziniert. Sie schafft es, dass die Wörter, die böse und schreckliche Taten beschreiben, auf den ersten Blick nicht wirklich böse erscheinen. Und dennoch kann man sich als Leser dem Bösen nicht entziehen und es in seinem ganzen Ausmaß erkennen.

“Diesmal war der schwarze König zu weit gegangen.
Als er meinen Vater am nächsten Tag freigab und mein Vater die Küche aufgeräumt hatte, hielt er mich lange fest und weinte. Wirklich, er weinte wie ein kleines Kind.
Dann brachte er mich zur Klinik in der Stadt.” (Seite 66)

Sie erschafft poetisch anmutende Umschreibungen und kreiert so tolle Wörter wie “Schonfrühlingsnachmittag”. Sie lässt Lion seine ganze Fantasie einsetzten um die schrecklichen Erlebnisse ertragen und überleben zu können. Die Grenzen zwischen Realität und Fantasie verschwimmen dabei zum Teil, da die Wörter eine ungeheure Macht auf den Leser ausüben und man sich wünscht, dass das alles wirklich wahr ist. Damit Lion es leichter hat. Damit Lion für kurze Zeit dem Schrecken entfliehen kann.

Ich war mit Lion im Keller, hab mit ihm Wald gelebt und mich mit den Seeadlern angefreundet. Ich suchte die weiße Königin und hatte Angst vor dem schwarzen König. Und jetzt, nachdem ich das Buch zugeschlagen habe, trage ich Lion und seine Geschichte in meinem Herzen.

Mit “Die Worte der weißen Königin” hat die „Märchenerzählerin“ Antonia Michaelis ein sprachlich wunderbares Buch geschrieben, in dem das Thema „Gewalt in der Familie“ emotional und berührend – aber auch mit all Schrecken – behandelt wird. Für Fans von “Der Märchenerzähler” meiner Meinung nach ein absolutes Muss.

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