Rezension

Die Wut der alten Erde

We Will Give You Hell -

We Will Give You Hell
von Lina Frisch

Bewertet mit 3 Sternen

Während der Pandemie und ihrer erzwungenen sozialarmen Phase bin ich in der Mediathek der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten über eine skandinavische Serie gestolpert: die Beforeigners. Wie aus dem Nichts tauchen aus Zeitlöchern plötzlich Vorfahren und Urahnen auf. Diese Zeitmigranten gehören irgendwann ganz normal zum Alltag dazu und so bevölkern eben auch Steinzeitmenschen, Wikinger und Bewohner der Belle Époque das Stadtbild und verändern die gewohnte Gesellschaftsstruktur. An diese Serie musste ich ab und an denken, während Hell, die Heldin aus Lina Frischs urbanen Fantasymärchen durch den schwedischen Wald stapft, um ihre Wut loszuwerden. Denn Hells Wut ist eng verknüpft mit einer Wikingerlegende, die bis in die Neuzeit überdauert hat. Aber nur für einige wenige Frauen und im Besonderen für Hell.

Hellea, von ihren Freunden Hell gerufen, hatte sich sehr auf den Schwedenurlaub mit ihrer Clique gefreut. Das Abi in der Tasche, die Zukunft vor der Nase, sollte dieser Ausflug die Belohnung für eine schwere Zeit sein. Den geliebten Vater als kleines Mädchen durch einen Autounfall verloren, kommt Hell mit dem neuen Partner ihrer Mutter nicht besonders gut klar. Er will ständig über alle Familienmitglieder bestimmen und auch Hell in die vermeintlich rechte Spur bringen. Immer wieder gibt es Auseinandersetzungen, die mit bösen Worten enden. So auch am letzten Abend vor der Reise, an dem Hell eine Wahrheit erfährt, die alles verändert und doch erst den Beginn eines großen, beängstigenden Abenteuers markiert.

Lina Frischs Hauptfigur Hellea ist eine Sympathieträgerin, obwohl ihr Leben gerade alles andere als rund läuft und selbst im Freundeskreis es plötzlich zu knirschen beginnt. Ihre innere Zerrissenheit aufgrund der familiären Probleme und der bevorstehenden Zukunft ist gut nachzuvollziehen. Sie ist wütend und beunruhigt über diese Wut. Der Stiefvater hat ihr lange genug einen bösen Charakter eingeredet, dass sie ihm allmählich Glauben schenkt. Zumal die schwedische Umgebung ihr extreme Fieberschübe beschert und eine merkwürdige Frau ihr eine noch merkwürdigere Geschichte über ein uraltes Kriegerinnenerbe erzählt.

Es ist der gleiche Ansatz wie bei den Beforeigners – es gab eine Vorzeit, in der Frauen nicht reduziert waren auf schmückendes Beiwerk, sondern selbst zu den Waffen gegriffen und ihre Macht verteidigt haben. Irgendwann nutzten die Männer die Gunst der Stunde, haben die Macht an sich gerissen und nur die sanften Frauen überleben lassen. Über Jahrhunderte wurde ihnen eingetrichtert, dass sie ohne den beschützenden Mann nichts wären und nicht überleben könnten. Dabei geht die größte Gefahr für Frauen bis heute von den Männern aus, die sie misshandeln, missbrauchen, verprügeln oder töten. Lina Frisch stellt diesen Männern eine Gruppe Frauen entgegen, die aus der Misshandlung und der Wut darüber eine übernatürliche Kraft ziehen können. Hell soll ihre Heilsbringerin werden und erkennt fast zu spät, was das persönlich für sie und ihr Leben bedeutet.

Der feministische Ansatz passt gut zu dieser Geschichte, denn die Autorin gesteht ihren Hauptfiguren eigenes Denken, Moral und Mitgefühl zu. Und Frisch muss auch nicht übertreiben, sondern nur grob abbilden, was sich auf der Welt so zuträgt zwischen Mann und Frau. Die Verbindung zwischen Mythos und Moderne funktioniert ganz gut, wobei mich nicht alle Szenerien und zwischenmenschliche  Verbindungen immer überzeugen. Doch das moderne Märchen unterhält mich und bringt mich auch zum Grübeln über meine eigene Gegenwart. Vielleicht wäre ein wenig kraftspendende alte Erde unter den eigenen Füssen gar keine so schlechte Idee.