Rezension

Dystopischer Ökothriller

Die Stimme der Kraken -

Die Stimme der Kraken
von Ray Nayler

          In naher dystopischer Zukunft: Die Welt ist in Eingeschränkte Regierungszonen, Autonome Handelszonen und Protektorate gegliedert, Agenten mit Abglanzschilden, die ihre Identität verschleiern, gehen in aller Öffentlichkeit ihren jeweiligen Interessen bzw denen der sie bezahlenden Konzerne nach. Es tobt ein erbitterter globaler Kampf um Ressourcen und Technologien. 
Einer der größten Konzerne, DIANIMA, hat gerade die Insel Con Dao im südchinesischen Meer abgeriegelt, um eine bislang unbekannte Krakenart zu erforschen. Die hochkompetente Meeresbiologin Dr. Ha Nguyen  - Expertin in Sachen Meeres-Bewusstsein und Kommunikation - soll Kontakt mit den hochintelligenten Wesen aufnehmen, um mit der neuen Spezies, die sowohl Sprache als auch Kultur ausgebildet haben soll, Kontakt aufzunehmen. Geleitet wird das Projekt von Evrim, dem einzigen empathischen Androiden der Welt, dessen Aufenthalt auf dem Archipel noch andere Gründe hat. Mit an Bord ist außerdem eine ziemlich durchgeknallte Sicherheitsfunktionärin, ohne die der Roman deutlich blutleerer wäre, im üblen wie im besten Sinne. 
Und natürlich tauchen am Horizont nicht nur die fischverarbeitenden KI-gesteuerten (Menschen)-Sklavenschiffe auf, sondern üble Mächte, die anderes mit den sensiblen, aber auch mörderischen Oktopoden im Sinn haben. Die Kopffüßer besitzen nämlich nicht nur eine eigene Grammatik und architektonische Fähigkeiten, sie verteidigen ihre Welt mit ausgeprägter Gnadenlosigkeit gegen jeden, der ihre warnenden Zeichen nicht zu lesen versteht.
Der kanadische Autor Ray Nayler, stellt - inspiriert von Sy Montgomerys "Rendezvous mit einem Oktopus" sowie neuesten Erkenntnissen zur Konnektom- und Gehirnforschung - auf originell- fantastische Art die Frage nach intelligentem Leben, Sein und Bewusstein, Moral und freiem Willen. 
Die noch unerforschten Geheimnisse der Tiefsee, ein dystopisches Wordbuilding und das Thema KI in bester Asimovscher Tradition werden hier zu einem vielversprechenden Setting verwoben. 
Das liest sich meist spannend, oft bildend und  immer unterhaltsam. 
Weshalb mich der Roman dennoch nicht ganz überzeugen konnte, liegt einerseits an den mitunter holzschnittartig wirkenden Charakteren, die die zahlreichen Schauplätze betreten, eine Handlung ausführen oder ein Statement abgeben (meist zur Frage "Was ist Bewusstsein?") und dann auf der anderen Seite der Bühne wieder abtreten, ohne dass man ihnen wirklich nahekommt. Andererseits wird eine Hauptfigur wie der Japaner Eiko, auf eins der erwähnten Sklavenschiffe entführt, mit einem großen erzählerischen Bogen aufgebaut - besonders schön fand ich die Idee des Gedächtnispalasts - um dessen Rolle schließlich im Sande verlaufen zu lassen. 
Nichtsdestotrotz ist es ein gut recherchiertes, wissenschaftlich fundiertes und unterhaltsam geschriebenes Buch, das einen guten Sommerschmöker abgeben könnte.