Rezension

Ein Debüt mit Potenzial, das mich leider etwas enttäuschte

Die Magie der kleinen Dinge - Jessie Burton

Die Magie der kleinen Dinge
von Jessie Burton

Alte Puppenhäuser verströmen eine eigenartige Magie, der man sich selten entziehen kann. Man spürt ein vergangenes Leben, die einstigen Hände, die hier einst die kleinen Gegenstände arrangierten und nicht selten erlebt man einen leichten Schauer, wenn man kurz den Kopf wendet und sich fragt: Hat sich da gerade etwas bewegt? Stand die kleine Vase nicht eben noch auf dem anderen Tisch? Stand der Stuhl schon immer so weit vom Schreibtisch entfernt?Genau diesem Gefühl erliegt die junge Ehefrau eines reichen Kaufmanns in der Blütezeit der Amsterdamer Handelsgesellschaften. Petronella, von allen nur Nella genannt, fühlt sich von Anfang an nicht wohl in dem Haus ihres Ehemanns. Sie wird wie ein Eindringling behandelt und führt nicht das Eheleben, was sie sich erhofft hat. Als schließlich ihr Ehemann ihr ein Puppenhaus schenkt – ein enormes Statussymbol der damaligen Zeit, beginnen mit der Einrichtung des schrankhohen Hauses seltsame Dinge um sie herum zu geschehen. 

Die junge Nella wird mit dem Amsterdamer Handelsmann Johannes Brandt verheiratet. Als sie sein herrschaftliches Haus an der Herengracht zum ersten Mal betritt, schlägt ihr kalte Abneigung von Seiten ihrer neuen Familie entgegen. Nur das Hochzeitsgeschenk spendet ihr Trost: ein Puppenhaus, das eine exakte Nachbildung ihres neuen Zuhauses ist. Doch bald werden Nella mysteriöse kleine Nachbildungen ihrer neuen Familienmitglieder geschickt – und Hinweise auf das, was diese verbergen. Nella beginnt zu ahnen, dass sich hinter der perfekten Fassade der Brandts tiefe Abgründe verbergen – und Geheimnisse, die sie alle in ihren Sog ziehen werden …

 Nella ist ein junges, naives Mädchen von 18 Jahren, die frisch vom Dorf in die pulsierende Hauptstadt Amsterdam zieht und sich nicht nur der neuen, schnellen und lauten Handelsmetropole stellen muss, sondern vor allem auch ihrer eiskalten Schwägerin. Diese macht ihr vom ersten Moment an das Leben im neuen Haus schwer und zeigt ihr stets, wer hier die eigentliche Hausherrin ist. Da ihr ständig abwesender Ehemann eher passiv den Geschehnissen und auch seiner Frau gegenüber steht, sieht Nella in ihrem neuen Puppenhaus ihre erste Emanzipationsmöglichkeit. Es wird ihr Projekt, dieses Haus einzurichten. Dafür sucht sie sich einen Miniaturisten und gibt die ersten Gegenstände in Auftrag. Doch sie erhält weitaus mehr als sie bestellt hat. Damit beginnen sich die Ereignisse zu überschlagen.
Tatsächlich gab es die hier vorgestellte Petronella Oortman wirklich und sie hatte auch wirklich ein Puppenhaus, das noch heute im Rijksmuseum in Amsterdam zu bestaunen ist. Man ist sich nicht sicher, ob das Puppenhaus tatsächlich ihr eigenes Haus en detail darstellte oder ob es nicht vielmehr als eine Art Ideensammlung und Traumvorstellung für ihren eigenen Haushalt fungierte. Pinterest des 17. Jahrhunderts oder so ;) Ich finde die zweite Vorstellung viel verlockender, denn ähnlich wie im Buch, gibt man vermutlich mit der perfekten Nachbildung auch das Private auf. Man gibt alles von sich preis, vielleicht auch die Dinge, die man lieber nicht zeigen möchte. 
Ähnliche Gedanken muss wohl auch Jessie Burton gehabt haben, als sie die Ideen für ihren Roman zusammentrug. Ein Puppenhaus als Spiegel des eigenen Lebens, der nichts schönt und viel offenbart. Alles ist in der Bewegung erstarrt und man kann sich die Zeit nehmen, alles in Ruhe zu betrachten. Gerade für die noch unerfahrene, häufig naiv wirkende Nella bietet der Umstand, dass ihr Puppenhaus wie auf magische Weise die Geheimnisse seiner Bewohner zeigt, ein enormes Entwicklungspotenzial. Sie kann sich in Ruhe mit den Informationen auseinander setzen und in Gedanken ihre Handlungsmöglichkeiten durchspielen. Sie reift entsprechend stark in den wenigen Monaten, die die Handlung umfasst. 
Und doch fehlte mir hier die Innensicht, der klarere Wechsel vom naiven Kind zur gefestigten Frau, den man wundervoll an ihren Gedanken hätte deutlich machen können. Stattdessen bleibt einem Nella häufig nur als verschrecktes und etwas wirres Mädchen im Gedächtnis, der am Anfang viel Raum für ihre unsicheren Gedanken eingeräumt wird. Gegen Ende der Handlung spürt man zwar einen Wechsel in ihrem Verhalten, doch in ihrem Denken zeichnet sich der nicht ab. Das raubt für mich doch sehr die Glaubwürdigkeit der Figur. Leider zeigen alle Figuren eine sehr ausgeprägte Charaktereigenschaft, die sie definiert: Der distanzierte Ehemann, die eiskalte Schwester, die naive junge Ehefrau, die munter plappernde Dienstmagd usw. usw. Das Repertoire der Figuren bleibt dadurch sehr beschränkt und auch wenn ein paar Figuren leichte Entwicklungen durchlaufen, bleiben sie doch irgendwie plakativ und hölzern. Oder wie ich es auf Instagram schon angedeutet habe: Ein wenig wie bei Iny Lorenz.
Dabei hat diese Geschichte durchaus Potenzial! Es gibt viele interessante Ansätze, besonders die kulturhistorischen Ansätze sind spannend und gut recherchiert. Ich hätte sehr gern mehr über die Sammelleidenschaft der reichen Amsterdamerinnen erfahren, über den regen Handel der Gilden mit exotischen Waren und vor allem: Mehr über die Miniaturistin. Eine der zentralen Figuren, bei weitem die komplexeste und mysteriöseste. Eine Frau, die abseits der gesellschaftlichen Norm lebt, ein völlig anderes Frauenbild als damals üblich verkörpert und zugleich einem Genie gleich viele Ausnahmetalente in sich vereint. Leider geht dieser Handlungsstrang im letzten Drittel fast völlig unter, ihre Geheimnisse werden wie nebenbei offenbart. Aber für mich am schlimmsten: Sie werden nicht mal gut und zufriedenstellend aufgedeckt. Es bleiben einfach viel zu viele offene Fragen. Gefühlt entstehen dadurch einige Logikfehler, die die Autorin nicht sauber zu lösen scheint. Sehr schade!
Fazit

Ein sehr schönes historisches Setting mit einer spannenden Puppenhausidee. Leider hat die Autorin in ihrem Debüt einige handwerkliche Fehler begangen, weshalb die Figuren ins Klischee abdriften und die Handlung gegen Ende unlogische Lücken aufweist.