Rezension

Ein dunkles Kapitel deutscher Geschichte aus norwegischem Blickwinkel erzählt

Das Haus der verlorenen Kinder - Linda Winterberg

Das Haus der verlorenen Kinder
von Linda Winterberg

Bewertet mit 4 Sternen

Oda und Lisbet wachsen an der norwegischen Küste auf. Als sie Teenager sind, bricht der zweite Weltkrieg aus. Für die Mädchen ändert sich damit im Grunde nichts – in den weiten Schärengärten bekommt man kaum etwas mit von der Gewalt in Zentraleuropa. Doch dann wird Norwegen von den Deutschen besetzt und norwegische Familien werden dazu verpflichtet, deutsche Soldaten in ihre Häuser aufzunehmen.

Was dann passiert, ist vorhersehbar: die Mädchen verlieben sich in die Männer, die aus dem fernen Deutschland in ihre Heimat gesandt wurden. Sie sehen sie nicht mit den Augen der Erwachsenen – als Feind – sondern einfach als nette junge Männer, die genauso voller Träume und Hoffnungen sind wie sie selbst. Sie müssen ihre Liebe geheim halten, denn norwegische Mädchen, die sich mit „dem Feind“ einlassen, sind verpönt und haben es schwer. Als beide Mädchen Kinder von den deutschen Soldaten erwarten und sie sich mit ihren Familien überwerfen, wird aus der erträumten wunderbaren Zukunft nach Kriegsende ein Minenfeld, in dem Oda und Lisbet viele Träume begraben und viele Opfer bringen müssen.

Die Mädchen haben Glück im Unglück, als sie an ein Haus des „Lebensbornvereins“ verwiesen werden, in dem für norwegische Mädchen gesorgt wird, die Kinder von Deutschen erwarten. Im Buch erfährt man, welche Rolle diesem Verein zukam: er vermittelte Adoptionen solcher Kinder nach Deutschland – mit dem Hintergrund, dass die Kinder von Deutschen und Norwegern als arisch rein galten. Nicht umsonst wurden Lebensbornheime hinter vorgehaltener Hand als „Zuchtanstalten“ bezeichnet. Sie hatten eine zwiespältige Rolle inne: einerseits haben sie tatsächlich vielen jungen Mädchen ohne Perspektive Zuflucht geboten und sie „durchgebracht“ – wer weiß, was sonst aus ihnen geworden wäre. Andererseits war der dahinter liegende Gedanke vom reinen Rassendenken getrieben.

Diesen Zwiespalt stellt die Autorin im zweiten Teil des Buches gut in den Mittelpunkt des Geschehens, besonders da Oda als samisch-stämmige Norwegerin gerade nicht dem Rassenideal der Deutschen entsprach.

Trotz aller interessanten und wichtigen Gedanken, die das Buch transportiert, erschien es mir insgesamt etwas „weichgespült“. Die Dramatik hinter der Geschichte war zu erahnen, wurde aber aus meiner Sicht dennoch nicht allzu zu deutlich formuliert. Das passte zum Erzählstil des Buches, war mir aber für ein eindeutiges geschichtliches Zeugnis etwas zu wenig. Zudem wurde beispielsweise auch nicht erläutert, woher der Name Lebensborn eigentlich kommt und warum die Heime genau so genannt wurden. Das ließ sich zum Glück mit Hilfe des Internets schnell herausfinden.

Schade fand ich auch, dass die Geschichten zweier Nebenfiguren, nämlich Erich (der Vater von Lisbets Kind) und Gertrud (eine Pflegekraft, mit deren Hilfe sich Lisbets Enkelin auf die Spur ihrer Herkunft begibt) nicht zu Ende erzählt wird. Ihnen wird am Anfang sehr viel Raum gegeben und es werden kleine Spuren ausgelegt, die einen neugierig machen auf die Figur. Am Ende geht aber dann plötzlich alles ganz schnell und man erfährt z. B. nicht, wie es mit Gertrud, die auch glaubt, ein Lebensbornkind zu sein, weitergeht. Die Figuren sind am Ende einfach von der Bildfläche verschwunden, das fand ich sehr schade.

Ich habe das Buch sehr gern gelesen, es war flüssig geschrieben, mitreißend und hat nebenher dieses dunkle Kapitel der Geschichte gut vermittelt. Aufgrund der oben beschriebenen kleinen Mankos kann ich aber leider keine volle Punktzahl vergeben und es bleiben gute vier Sterne.