Rezension

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Ein Lesevergnügen der besonderen Art - und very british ;)

Ein untadeliger Mann - Jane Gardam

Ein untadeliger Mann
von Jane Gardam

Bewertet mit 4.5 Sternen

Das Cover zum Roman von Jane Gardam ist mit dem typisch englischen Rautenmuster in schönen Grüntönen bedruckt  - bereits ein Hinweis auf den (tadellosen) Inhalt, der sich zwischen den Buchdeckeln des HC-Romans, erschienen 2015 (deutsch) im Carl Hanser Verlag, verbirgt und in dem es 'very british' und das im besten Sinne, zugeht...

"Edward Feathers, einst Kronanwalt in Hongkong, vollendeter Gentleman und noch mit achtzig ein schöner Mann, scheint ein mühelos erfolgreiches leben gehabt zu haben, doch wer hat ihn wirklich gekannt? Nicht einmal seiner Frau Betty hat er je erzählt, woher das Stottern kommt, das ihn in Augenblicken großer Aufregung immer noch überwältigt. Als Betty stirbt, bewahrt Feathers wie gewohnt Contenance. Doch eines Morgens setzt er sich ans Steuer seines Wagens und fährt los, das eigene Leben zu erkunden. " (Quelle: Buchrückentext, Auszug)

Der Roman zeigt in Rückblenden bzw. teilweise in der Retrospektive das Leben Edward Feathers, auch genannt Filth, später Old Filth (failed in London try Hongkong); der allem Anschein nach ein Leben ohne Fehl und Tadel - nach außen hin und für sich selbst - führte und dem wir als 80jährigem Hauptprotagonisten "begegnen": Wie viele Kinder ist er eine "Raj-Waise", also ein Junge, dessen Eltern (hier nur noch der Vater) Eddie aus Malaysia im Alter von ca. 4 Jahren nach England zurückschickte, um zum einen das Erwachsenenalter überhaupt zu erreichen und zum anderen die bestmögliche englische Erziehung und Bildung genießen zu können. Eddie hatte, wie viele andere Kinder, das Unglück, als kleiner Junge gemeinsam mit 2 Cousinen in einer Pflegefamilie, deren Pflegemutter bar aller erzieherischer Kompetenz sowie Warmherzigkeit und Verständnis für Kinder, aufwachsen zu müssen. Sein Schicksal wendet sich zum Besseren, als er bei 'Sir', dem alten Schulleiter seines Vaters, in dessen schulische Fußstapfen tritt und sich mit Pat Ingoldby anfreundet: Er erlebt in der Familie Ingoldby erstmals in den Ferienzeiten, dass er Teil dieser Familie sein darf: Der aufziehende Krieg und die damit einhergehenden Verluste sollten dies jedoch wiederum ändern... Das Erleiden von Verlusten sollte fortwährend eine Rolle in seinem jungen Leben spielen, auch der Vater hatte jeglichen Kontakt zum Sohn über viele Jahre vermieden, ihn jedoch nach Singapur beordert, um ihn vor den Kriegsgefahren des WW II zu schützen- doch auch dies sollte anders kommen.

Eddie lernt auf der Überfahrt Albert Ross kennen, studiert später Jura in Oxford und erhält ein Angebot, das er annimmt - er wird Kronanwalt in Hongkong. Dort lernt er Betty kennen und beide leben viele Jahre glücklich in Fernost, bis es sie im Alter nach England zurückzieht, wo Betty eines Tages stirbt. Dieser Verlust setzt etwas in Gang bei Eddy, über das er Jahrzehnte hinwegging, ohne es zu merken....

Sowohl der Hauptprotagonist als auch Betty (die im zweiten Roman, ET März 2016 in deutscher Sprache), Sir, Pat und andere Nebenfiguren werden sehr facettenreich und authentisch dargestellt; mit wenigen Worten gelingt es der Autorin, die Personen prägnant zu zeichnen. Der Schreibstil ist zuweilen humorvoll und ironisch, schnörkellos und sehr authentisch zu nennen, die Prise des berühmten trockenen britischen Humors sind das 'Sahnehäubchen' des Romans, in dem es um Authentizität, Integrität, Sehnsucht und auch Erinnerung geht und in dem Eddie 'Old Filth' auf ehrliche Weise mit seinem eigenen Leben abrechnet, auf einer letzten Reise zu sich selbst ist und - sich am richtigen Ort wiederfindet, bevor es für ihn zu spät ist...

Fazit:
Sprachlich prägnant und witzig, mit britischem Humor versehen ist dieser Roman ein Lesevergnügen der besonderen Art, die dennoch betroffen und nachdenklich macht, da er den Menschen auch als Produkt seiner Erfahrungen zeigt, denen er sich nicht entziehen kann - und zuweilen auch nicht entziehen will. Sehr lesens- und empfehlenswert; mit einer Vorfreude auf den zweiten Band gibt es daher von mir 4,5 Sterne und 95° auf der Werteskala.