Rezension

Heimatlos im Land der Krone

Ein untadeliger Mann - Jane Gardam

Ein untadeliger Mann
von Jane Gardam

Bewertet mit 4 Sternen

Wie würde man ein Buch wohl lesen, zu dem kein Titel, Cover und Klappentext zur Verfügung stände. Würde man es überhaupt lesen? Die Eintrittskarte eines Buches in meine Bibliothek gelingt in vielen Fällen über das Cover und den Titel. Denn die erwecken Erwartungen in mir und lösen zusammen mit den Anpreisungen des Klappentextes das Haben-wollen-Gefühl in mir aus. Sie geben aber schon bevor ich zu lesen beginne eine grobe Richtung vor, welchen Inhalt ich dann auch erwarte. Manche persönliche Buchempfehlung von Bekannten oder Freunden habe ich nicht umgesetzt, weil mir das Cover nicht gefiel oder der Klappentext sich nicht mit dem deckte, was mir vom Leseerlebnis erlebt wurde. Das ist schon nicht ganz fair all den ungelesenen Büchern gegenüber, dass ich mir eine Bewertung erlaube ohne den Inhalt zu kennen. Der Hanser Verlag hat meinen Geschmack allerdings voll getroffen. Trendfarbe grün, ein klassisches Rautenpullundermuster und dann dieser Titel – Kopfkinoalarm bevor ich überhaupt das Buch Richtung Klappentext umdrehen konnte. Beim Stichwort Kronanwalt war klar, das will ich lesen. Eine rationale Begründung für diesen Effekt muss ich an dieser Stelle schuldig bleiben.

Obwohl ich nur diffuse inhaltliche Erwartungen an den untadeligen Mann hatte, entspricht Eddie Feather in etwa meiner Vorstellung von einem britischen Kronanwalt der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts und konnte mich im Nu für sich einnehmen. Die Handlung ist vielmehr ein Hin- und Herspringen zwischen den vielen unterschiedlichen Kapiteln seines Lebens. Geboren im exotischen Teil des British Empires in Malaysia, glückliche erste Jahre unter Eingeborenen, nur Sichtkontakt zum gefühlskalt wirkenden Vater, verschifft nach England, um zu einem anständigen Briten in der „echten“ Heimat erzogen zu werden. Als wäre der Kulturschock von Malaysia zu Wales nicht schon groß genug, ist die Pflegefamilie ein Horror für den Raj-Waisen, wie man die britischen Kinder aus Fernost auch nannte. Doch dem nähern wir uns nur Häppchenweise. Jane Gardam wählt eine kluge Form des Erzählens, indem sie die verschiedenen Lebensabschnitte ihrer Hauptfigur Old Filth scheinbar wahllos zusammenwürfelt und sich Gegenwart mit Vergangenheit munter abwechselt. Es ist die Geschichte eines untadeligen Mannes, wie er eben zu jenem wurde und welche Opfer, welche Schrecknisse, welche Geheimnisse ihn auf seinem Weg begleiteten.

Großer Sympathieträger neben Cover und Titel ist die Sprache des Romans. Sie geht mit dem Rautenmuster des Pullunders eine Symbiose ein und zeigt einen untadeligen Engländer wie man ihn sich vorstellt und wie man über England lesen will. Gleichsam untergräbt die feine Ironie die eigenen Vorurteile und verbündet sich mit dem Erzählzeitenwechsel manchmal sogar gegen mich als Leser. Es kommt so wie man denkt und doch anders und Eddie Feather wächst mir ans Herz je weniger untadelig er im Laufe des Buches eigentlich erscheint.

Jane Gardams Charaktere fallen in ihrer Präsentation durch die Autorin aus dem Rahmen, sie sind alle ein Stück drüber und dennoch very british. Die Enthüllungen weben sich wie beiläufig in den langweiligen Alltag und lassen den Leser manchmal enttäuscht zurück, weil er nun doch größere Erzählhöhepunkte erwartet haben mag, als sie augenscheinlich vor ihm liegen. Doch Gardams Erzälkunst liegt nicht an der Oberfläche, sie muss zwischen den Zeilen gefunden werden. Hat sich in die zweite Erzählebene des Textes eingegraben und muss durch eigene Denkleistung gehoben werden. Das macht für mich den eigentlichen Reiz des Romans aus.

Kommentare

Arbutus kommentierte am 05. Juni 2016 um 17:05

Tolle Rezi. Ich war auch von dem Buch begeistert.