Rezension

Ein teuflischer Vertrag

Der Schrecksenmeister - Walter Moers

Der Schrecksenmeister
von Walter Moers

Bewertet mit 4 Sternen

*~**~"Oben ist unten und hässlich ist schön."~**~*

Stell dir vor, es gäbe eine Stadt, in der das Gesunde krank und das Kranke gesund werden würde. In ihr würde es die wohl mit Abstand unmöglichsten und abstoßendsten Krankheiten wie etwa Hirnhusten, Darmschnupfen oder gar Magenmumps geben.

Bei einem Spaziergang durch ihre Straßen würde sich bei dir ein derart eiternder und brechreizfördernder Gestank in deiner Nase breit machen und die Töne von schrecklichem Gewimmer und unerträglichem Geröchel würden sich in deine Ohren schleichen. Die Luft dort wäre bereichert von der Einzigartigkeit verschiedenster Bakterien und Krankheitserreger, die in der Luft schwebend ständig auf der Suche nach neuen Opfern wäre.

Die Einwohner dieser Stadt würden nicht leben, sondern förmlich dahinvegetieren. Ein reinstes Moloch voll von Angst, Trauer, Schrecken und Tod.

Nun ja, dann - ja genau dann, wenn du dir all dies Übel in einer Stadt vorstellen könntest und sie ganz dicht vor deinem Auge entdecken könntest, dann wärst du in Sledwaya angekommen. Dem wohl krankesten Ort in ganz Zamonien. Und in dieser Stadt lebte in jener Zeit Echo, ein kleines Krätzchen. Ja, richtig gelesen ein kleines Krätzchen! Für alle Nichtsahnenden erschien Echo wie ein gewöhnliches Kätzchen. Rein äußerlich gesehen unterschied er sich auch nicht von einer gewöhnlichen Hauskatze. Allerdings besaß er die zamonische Gabe, sprechen zu können und im stolzen Besitz zweier Lebern zu sein anstatt nur einer Popligen wie all die anderen Katzen!

Nachdem Echos Frauchen, eine alte Frau, ganz im Gegensatz zur sledwayischen Gewohnheit ganz sanft in den Schlaf des Todes entschlummerte, befand sich das kleine Krätzchen zum ersten Mal an einem richtig unglücklichen aussichtslosen Punkt in seinem bis dahin noch recht jungen Leben. Die neuen Besitzer des Hauses waren alles andere als begeistert von dem kleinen anhänglichen Wollknäuel und beschlossen es kurzerhand und schmerzlos auf die Straße zu setzen.

Nun saß da ein kleines abgemagertes, dreckverschmiertes und armseliges Krätzchen, dass seit Tagen durch die kranken Straßen von Sledwaya irrte, stets auf der Flucht vor den gefährlichen Straßenkötern, bettelnd um etwas Küchenabfälle und in stetiger Hut vor so manchen Bazillenschleudern, die die Stadtbewohner für ihn umherschleuderten; in einer Ecke am Straßenrand, als ein metallisches klappriges Geräusch sich schon von weitem ankündigte...

...welches dem berüchtigtem und allseits gehasst wie gefürchteten Stadtschrecksenmeister Succubius Eißpin gehörte. Er verkörperte wohl den Alptraum in Person. Sein Anblick erinnerte einen an den einer wandelnden Vogelscheuche, von dem giftig galligen Geruch, der ihm meilenweit vorauseilte, mal ganz abgesehen. Bis auf eine Schreckse hatte er alle Schrecksen erfolgreich gejagt und aus der Stadt vertrieben. Seine Präsenz war allgegenwärtig, die Stadt stand unter seiner Fuchtel!

Aber erstaunlicherweise sollte genau er diejenige Person sein, die sich bereiterklärte, Echo - das kleine Häufchen Etwas, in seine Obhut zu nehmen und sich um sein Wohlergehen zu kümmern. Und nicht nur das...kulinarische und geistige Hochgenüsse sollten es sein, die das kleine Krätzchen fortan wohlig nährten.

Doch wer dachte, dass Eißpin dies aus reinem Mitgefühl und Nächstenliebe tat, der irrt hier gewaltig! Denn natürlich war er auf Etwas aus. Und zwar auf das Fett des kleinen Krätzchens. Kratzenfett fehlte dem unbarmherzigen und eiskalten Eißpin nämlich noch in seiner stolzen Sammlung der seltensten Fette. Echo schloss daher - in seiner Notlage und keinen anderen Ausweg sehend - den wohl teuflischsten Vertrag seines Lebens mit dem Schrecksenmeister ab...und gab damit sein Einverständnis zu seinem eigenen Tod beim nächsten Vollmond!

Als er jedoch zu Kräften kommt und sich sein Wissen und Lebenswille von Tag zu Tag mehrt, werden ihn die Konsequenzen dieses Vertrags zu viel und er versucht zu fliehen. Auf seiner ungeheuren Reise durch das Gemäuer Eißpins lernt er mit so manchen Ängsten umzugehen und schließt die ein oder andere "Freundschaft".

*~**~die Magie zamonischer SCHRECKENSschreibkünste...~**~*

Es gibt Romane, die waren so toll und ergreifend und zugleich in so realer Art und Weise erzählt, dass es den Leser erschien, er wäre eben erst von einer Reise zurückgekehrt. Von einem Abenteuer, das so real schien, dass man mit voller Euphorie bereits kurze Zeit danach von ihm in vollster Detailtreue erzählen kann und will. Zu diesen zähle ich Moers Vorgängerromane "Rumo & die Wunder im Dunkeln" sowie "Die Stadt der träumenden Bücher".
Dann wiederum behaupte ich, dass es Romane wie diesen gibt, der es, zumindest mir, nicht ermöglicht, bereits wenige Stunden nach dem Zuendelesen zu einem eindeutigen und völlig zweifelfreiem Fazit zu gelangen. Deshalb musste ich tatsächlich etwas Zeit verstreichen lassen und in mich gehen, um euch letztendlich meine Meinung zu diesem Roman zu verraten. Ich stocke etwas und ringe förmlich nach den richtigen Worten...nun probieren wirs hiermit:

Moers unumstrittenes Erkennungsmerkmal ist seine detailgetreue und zu Wortspielen und -neuschöpfungen neigende Art des Schreibens, die mich in all seinen bisherigen Romanen auf unterschiedlichste Art und Weise in ihren Bann gezogen hat. Ob es die mannigfaltige Aufzählung von Farbtönen, die überaus reichhaltige Kreaturbeschreibung der schier unendlich existierenden Wesen Zamoniens und dem Kontinent Zamonien selbst oder die facettenreiche Umschreibung von Eigenschaften war...Moers überraschte mich immer mit einer Explosion an immer raffinierteren und noch außergewöhnlicheren Wortneuschöpfungen, dass ich immer total überwältigt war, nein überwältigender als überwältigt.

Heute, zum ersten Mal, muss ich sagen, konnte ich für mich feststellen, dass genau das in seinem neuesten Roman leider nicht die leitende Rolle übernahm wie bisher. Ob gewollt oder ungewollt! Vielmehr übernahm dieses Mal etwas anderes die Leitrolle. Ein Hang zu Gefühlvollerem und Unbekanntem. Interessant - aber auf mich nicht ganz so euphorisch wirkend wie es die bisherigen Romane geschafft haben.

Die Beschreibung dieser grässlichen Stadt, der ganzen Krankheiten, der Kreaturen und der Ereignisse in dieser Geschichte war wie immer kreativ und natürlich auch hier alles andere als langweilig. Allerdings kamen mir meine Erwartungen nachdem ich den Klappentext gelesen hatte weitaus gruseliger, spannungsgeladener und grausamer vor, als letztendlich die Geschichte selbst. Vielleicht bin ich mittlerweile schon wählerisch geworden oder einfach nur abgehärtet von all den harten und ausschmückenden Beschreibungen aus den Vorromanen, sodass mir die ganze Sache hier um ein vielfach Humaneres erschien. Kann sein, muss aber nicht!

Auch wenn der Autor in der Anmerkung am Schluss erklärt, warum er dieses Mal auf all die "Mythenmetzschen Abschweifungen" verzichtet hat und die Gründe mir irgendwie logisch erscheinen, war ich doch etwas enttäuscht, keine einzige vorzufinden. Denn obwohl sie oft lang und nervenraubend waren, begleitet sie stets eine gute Portion Witz und Humor, was die Unterhaltung um ein Vielfältiges steigerte.

Auch an Illustrationen hat es mir in diesem Roman etwas gemangelt...nun ja, zumindest wenn man Moers gewohnte Anzahl an untermalenden Bildern und Zeichnungen mit der Anzahl in diesem Roman vergleicht. Ich kann mich täuschen, aber sie erschienen mir hier um einiges weniger. Die Geschichte ist gut strukturiert, interessant und beinhaltet einige unerwartete Verläufe, die die Geschichte stets in Spannung halten...sie ist liebevoll, herzberührend und einfach unterhaltend. Das Buch las sich wie immer sehr flüssig und die Seiten verflogen wie im Nu. Eine Verknüpfung zum Kontinent Zamonien sucht man allerdings in seinem neuen Roman vergebens. Der bei seinen treuen Lesern so liebgewonnene Kontinent bleibt hier etwas außen vor. Man muss sich wohl auf den nächsten Roman vertrösten!