Rezension

Ein tolles Buch mit Ausrufezeichen

Die Gespenster von Demmin - Verena Keßler

Die Gespenster von Demmin
von Verena Keßler

Bewertet mit 5 Sternen

Vom Jungsein, vom Altwerden, vom Stehenbleiben und Weitergehen

„Als Kind glaubt man, dass alles möglich ist. Der Trick ist, nie damit aufzuhören. Das war der erste Satz auf meiner tollen Liste, die jetzt für immer verloren ist.“

Kurzrezension

Die junge deutsche Autorin Verena Kessler schafft es in ihrem Debütroman, eine irgendwie alltägliche, sehr normale und wenig beachtenswerte Geschichte als ein wunderbar intensives, allumfassendes und menschlich wichtiges Gedankengut zu verkaufen, ohne großes Tam-Tam und so subtil und entschleunigend, wie nur selten erlebt. Sie nimmt die Vergangenheit der Stadt Demmin, und dem dort vollzogenen Massensuizid zu Ende des zweiten Weltkrieges nur als Aufhänger für ihre Erzählung über die Neuntklässlerin Larissa, die hier groß geworden ist und sich zielgerichtet auf ihren Berufswunsch einer Kriegsreporterin vorbereitet. Immer mit dem Wunsch, dorthin zu gehen, wo großes passiert, was die ganze Welt erfahren möchte.

Dabei steht Larry, wie sie gerne genannt wird, an der Schwelle zum Erwachsenwerden und im Zentrum der Geschichte. Sie führt den Leser tief hinein in ihr Leben, geprägt von der ersten aufkeimenden Liebe, schwierigen Familienverhältnissen, denen sie sich derzeit gegenübersieht und einer bisher eigentlich stabilen Freundschaft, die nun jedoch auf eine Bewährungsprobe gestellt wird. Nichts in diesem Text ist unbekannt, vielmehr hatte ich das Gefühl, all die kleinen Episoden zu kennen, gerade so als würde ich auch die handelnden Protagonisten kennen, als erzählen sie nicht mir ihre Gedanken, sondern sich selbst.

Was mir so ausgesprochen gut gefallen hat, war die Tatsache, wie gekonnt und leicht die Menschen vor Ort miteinander verknüpft werden, ganz egal in welcher Beziehung sie zueinanderstehen oder welcher Altersklasse sie angehören. Längst handelt es sich hier nicht um einen reinen Coming-of-Age Roman, denn auch andere Menschen, die mittlerweile viel vom Leben gesehen haben und sich eher mit der Einsamkeit des Alters plagen, kommen immer wieder zu Wort. Der Schlüsselpunkt dieser einfühlsamen, unaufgeregten Erzählung ist der normale Lauf des Lebens, gespickt mit diversen Schicksalsschlägen, einigen glücklichen Wendungen, ganz bestimmten Entscheidungen und einfachen, unvorhergesehenen Fehlern, die ihrerseits weitreichende Folgen haben. Normalerweise bin ich kein Freund von handlungsarmen Romanen, die wenig Fortschritt vermitteln und immer wieder auf bekannte Dinge zurückkommen – doch hier hat mir genau dieser Fakt so gut gefallen, weil er widerspiegelt, was die Aussage des Buches für mich ist.

Die Menschen sind jung, manche werden alt, andere nicht. Die Menschen sind alt und einsam oder sie haben ihren Frieden damit gemacht. Jeder hat eine Vergangenheit, Dinge, an die er sich erinnert, Menschen, die den eigenen Weg gekreuzt und ihre Spuren hinterlassen haben. Jeder ist einmal stehengeblieben, um innezuhalten und sich zu fragen, ob es der richtige Weg ist und jeder ist einmal weitergezogen im Vertrauen darauf, dass genau das die einzig vertretbare Entscheidung ist. Und dieses Menschsein wirkt manchmal traurig, manchmal überzeugend, dann wieder unausweichlich und immer ganz nah an der Realität, egal wo man sich gerade befindet.

Fazit

Ein sehr empfehlenswerter, stimmungsvoller Roman über die Gegenwart und die Vergangenheit, über das Heranwachsen und das Verabschieden. Hier vergebe ich 5 Lesesterne und bin mir sicher, dieses Buch irgendwann noch einmal zu lesen, denn es passt in so vielen Lebenslagen, ist für Jugendliche ebenso empfehlenswert wie für ältere Menschen und es stimmt trotz einer gewissen Dramatik und Schwermütigkeit hoffnungsfroh, dass sich irgendwo wieder eine Tür öffnet, die sich scheinbar gerade für immer geschlossen hat.