Rezension

Ein wortmagischer Roman über Schwesternschaft, dysfunktionale Familienverhältnisse und Frausein im 21. Jahrhundert

Blue Sisters -

Blue Sisters
von Coco Mellors

Bewertet mit 4.5 Sternen

Um eines Vorweg zu nehmen: Coco Mellors ist eine echte Wortmagierin! Die Autorin schafft es mit ihrer Sprache und der intelligenten Zeichnung psychologisch komplexer Figuren eine ganz besondere Dynamik zu erzeugen. Ihr Schreibstil ist so schneidend, schnell und pointiert, dass es einfach nur ein Genuss ist, ihre Geschichten zu verfolgen.

In Blue Sisters ist dies das Schicksal der vier Blue Schwestern: Avery, Bonnie, Nicky und Lucky. Ausgangspunkt ist der unerwartete Tod der mittleren Schwester Nicky. Schnell wird deutlich, dass jede Schwester auf ihre Art nicht nur mit dem Tod Nickys sondern bereits zuvor mit ihren ganz eigenen Dämonen kämpft und mit dem Leben hadert. Auffällig ist hier schon wie im Vorgängerroman Mellors Hang zu exzentrischen Figuren. So ist jede Schwester auf ihre Art sehr außergewöhnlich, sei es Lucky, die als Jüngste bereits mit 15 gefragtes Fotomodel war, Bonnie, die Boxweltmeisterin ist, oder Avery, die mit fotografischem Gedächtnis beruflich erfolgreich ist.

Die Familie Blue und die Schwestern lernen wir in jeweils eigenen alternierenden Kapiteln der verbliebenen Schwester kennen, in denen auch immer wieder auf Nicky und ihren Tod rekurriert wird und Einblicke in das Aufwachsen der Schwestern aufscheinen. In diesem Kontext behandelt Mellors dysfunktionale Familienverhältnisse und wie diese uns und unsere sozialen Beziehungen bis ins Erwachsenenalter prägen, das Thema Sucht und wie diese sich durch ganze Familien ziehen kann, Endometriose und Sexismus im Gesundheitssystem, sowie Trauer und Verlust, die Herausforderungen von Mutterschaft, und natürlich als größtes Thema und Rahmen: Schwesternschaft und ihre Dynamiken.

Dies ist aus meiner Sicht, mit leichten Abstrichen, durchaus gelungen. Für mich ist Blue Sisters ein bisschen wie ein Hollywoodfilm, der unterhaltsam und hochwertig umgesetzt ist, etwas Anspruch hat oder vortäuschen will und aus dieser Perspektive einfach sehr gut gemacht ist - fantastische Unterhaltung mit durchaus komplexen, exzentrischen Figuren! Was Blue Sisters (und auch Cleopatra und Frankenstein) für mich hingegen nicht ist, ist ein Werk mit besonders viel Tiefgang, das jenseits des Unterhaltungswertes nachhallt und zum Nachdenken anregt. Dafür ist der Stil zu schnell und skizzenhaft, letztlich doch primär auf Effekt ausgelegt, die Charaktere zu exzentrisch. Keine der Schwestern ist mir wirklich nahe gekommen, auch wenn ich ihre Geschichte gern verfolgt habe. Der Epilog war sehr amerikanisch und hatte für mich keinen Mehrwert für den Roman, eher im Gegenteil. Die größte Stärke des Buchs, der schnelle, schneidige Schreibstil, wird für mich daher gleichzeitig zu seiner größten Schwäche, indem die Tiefe darunter leidet. Gesellschaftlich und psychologisch relevante Themen im Roman, wie Endometriose oder Verlust und Trauer werden aus meiner Sicht in anderen Publikationen besser behandelt. Eine Ausnahme davon bilden für mich einzelne Passagen im letzten Drittel, die ich in der Darstellung der Emotionen und Verzweiflung unglaublich stark fand - in Zukunft gerne noch mehr davon, Coco Mellors! 

Ungeachtet der genannten Schwächen überwiegt für mich jedoch Coco Mellors Erzähl- und Schreibtalent auch in diesem Roman, sodass ich gern 4,5 Punkte vergebe! Blue Sisters ist ein Erlebnis im wahrsten Sinne des Wortes und einfach sehr gute Unterhaltung!