Rezension

Eine Eisenbahnodyssee im Norden Kanadas

Was dir bleibt -

Was dir bleibt
von Jocelyne Saucier

 

Mit 76 Jahren verschwindet Gladys Comeau plötzlich aus ihrer Siedlung Swastika in Ontario. Sie wurde zuletzt gesehen, als sie in den Northlander-Zug eingestiegen ist. Doch danach werden ihre Spuren blasser und blasser, sodass es für ihre Nachbarn und Freunde immer schwieriger wird, sie ausfindig zu machen. Niemand versteht ihre Flucht und warum sie ihre kranke Tochter zurückgelassen hat. Ein Englischlehrer aus Senneterre interessiert sich für Gladys Irrfahrt und versucht nun diese zu rekonstruieren, um Gladys Beweggründe für ihre Flucht und seine eigenen Gründe für sein außergewöhnlich großes Interesse an ihrem Verschwinden aufzudecken.

Meinung: 

Die Geschichte einer Eisenbahnodyssee, die sich selbst auf eine Irrfahrt in verschiedenen Zügen begibt. (S. 251)

Dieses Zitat beschreibt den Roman ganz gut. Die Geschichte gleicht an sich auch einer Irrfahrt. Schließlich versucht der Erzähler die Odyssee von Gladys chronologisch zu erzählen, aber er ist dabei auch sehr chaotisch und inkonsequent, sodass er öfters mal abschweift, den Geschichten und Biografien der Nebenfiguren viel Raum lässt, wobei auch die Züge im Norden Kanadas eine besondere Rolle spielen. 

Diese Nebenstränge waren zum Teil sehr interessant, vor allem wenn es um Geschichten über die school trains ging, zum Teil haben diese Stränge aber auch den Lesefluss abgebremst und dafür gesorgt, dass man der Geschichte nicht immer gut folgen konnte. Die Erzählweise sorgt aber auch für eine Spontaneität und Authentizität in der Geschichte.

Der Schreibstil ist sehr schön und trägt mit bildhaften Naturbeschreibungen zu der träumerischen Atmosphäre bei. Der Zauber des Zugfahrens überträgt sich auf den Leser. In den Zügen kommt man mit fremden Menschen in Kontakt, man erlebt einen besonderen Augenblick der Menschlichkeit, führt tolle Gespräche etc.. Beim Lesen ist diese Atmosphäre deutlich spürbar und man will selbst sofort in den Zug steigen und losfahren.

Zu den meisten Figuren konnte ich leider keine Bindung aufbauen, weil ihre Gefühls- und Gedankenwelt nicht greifbar war. Daher hat der Roman sein Potential mich emotional zu packen nicht ganz ausgeschöpft. Aber man kann dies auch als Erzähltechnik sehen. Schließlich berichtet ein Erzähler, der nichts mit Gladys zu tun hatte, aus der Ferne von ihrem Verschwinden und den Handlungen ihrer Freunde. Da ist es wieder sehr authentisch, dass man den Figuren nicht sehr nahe sein kann. 

Es werden sehr wichtige Themen behandelt, was zum Denken anregt. Der Roman ermöglicht es, ein und dasselbe Thema aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Wichtige Themen sind hier der Umgang mit dem Tod, die tiefen und oberflächlichen Freundschaften, die Vergänglichkeit und der eigene Umgang mit dem Leben bzw. die eigenen Lebensziele.

Wer alles erklären will, dem entgeht viel.

Das Ende lässt den Leser mit offenen Fragen zurück, was aber gar nicht so schlimm ist, da man sich hier selbst Gedanken machen und die Geschichte Revue passieren lassen kann. 

Fazit:

Der Roman schafft durch die Züge und die Natur im Norden Kanadas eine besondere und wohlige Atmosphäre, die einen schweben lässt. An einigen Stellen ist die Geschichte etwas langatmig und die Nähe zu den Figuren hat mir oft gefehlt. Aber viele wichtige Aspekte wurden wunderbar ausgearbeitet, sodass der Roman auch nach dem Lesen seine Wirkung entfaltet.