Rezension

Eine kulinarische Dystopie

Hysteria - Eckhart Nickel

Hysteria
von Eckhart Nickel

Bewertet mit 4 Sternen

Bergheim ist ein vorsichtiger Mensch, der Elektrogeräten misstraut und sich Gedanken über deren mögliche Strahlung macht. Beim Einkaufen auf dem Markt entdeckt er Himbeeren, die viel zu dunkel aussehen und sich falsch anfühlen. Jenseitig, findet Bergheim und macht sich auf den Weg in die Kooperative, die diese verdächtigen Himbeeren erzeugt. Wir befinden uns in einer ökologischen Diktatur der nahen Zukunft. Die Erde hat nach einer gewaltigen Klimakatastrophe versucht, ihre gierigen Bewohner abzuschütteln, die wiederum nach Gegenmaßnahmen suchten. So konnte eine Initiative „Spurenloses Leben“ Einfluss gewinnen, die schon entstand zu Bergheims Studienzeiten als Fachkraft für Kulinarik.  Gemeinsam mit dem Kulinarischen Institut als Teil des Ernährungsministeriums werden 10 neue Gebote verkündet, nach denen u. a. Menschen nur noch als Nomaden über ihren Planeten ziehen dürfen. Der Natur darf nichts mehr entnommen werden, das nicht sowieso von der Pflanze abfällt oder eines natürlichen Todes stirbt. Geleitet wird das kulinarische Institut zu Bergheims Verblüffung von Charlotte, seiner Liebe aus der Studienzeit. Gemeinsam mit Ansgar bildeten die drei im Studium eine verschworene Clique. Rückblenden zeigen, wie bereits damals erfinderische Leute Genussmittel komplett ersetzten, indem sie sensorische Reize  künstlich erzeugten. Bergheim zeigte schon da eine gewisse olfaktorische Besessenheit und einen Kontrollzwang, den Zweierbeziehungen auf die Dauer nicht aushalten.

Aus der nahen Zukunft blickt Eckhart Nickel zurück in Bergheims Jugend, als - von seinem Helden vermutlich unbemerkt  - das Fundament der heutigen Öko-Diktatur gelegt wurde. Ein Handlungsstrang dreht sich um einen Copy-Shop-Inhaber, der früher Buchhändler war und sich inzwischen völlig neu erfunden hat – auch er in gewisser Weise eine Konstruktion.

Bergheim und die verdächtige Himbeere – diese beeindruckende Szene behielt ich den gesamten Roman über im Hinterkopf. Wie muss sich eine normale Himbeere anfühlen und wer möchte eigentlich künstliche Früchte schmecken, fragte ich mich. Interessanter wäre Nickels Utopie, wenn sie sich nicht nur um die Theoretiker des Systems drehen würde, sondern auch Figuren zeigen würde, die sich beim Erzeugen der sensorischen Illusionen irgendwo die Hände schmutzig machen müssten. Ein schon vor der Buchveröffentlichung gelobter und preisgekrönter Blick in die Zukunft, der unser Konsumverhalten weiterdenkt. In der nächsten Generation könnten Himbeeren evtl. nur noch ein Sinnesreiz aus dem Aromazerstäuber sein ...

Kommentare

wandagreen kommentierte am 02. Oktober 2018 um 18:46

Die Idee wäre ganz gut, aber die Darbietung ist - finde ich - unerträglich langweilig. Das Meiste muss man sich zusammenreimen und darüberhinaus ist die Bedrohung sehr subtil, nicht greifbar.