Rezension

Eines der besten Bücher, die ich je gelesen habe

Sag den Wölfen, ich bin zu Hause - Carol Rifka Brunt

Sag den Wölfen, ich bin zu Hause
von Carol Rifka Brunt

~ Bücher wie „Sag den Wölfen, ich bin zu Hause“ sind der Grund, warum ich lese. Diese wundervolle, emotionale Coming-of-Age-Geschichte hat mich tief berührt und verdient tausend Mal mehr Aufmerksamkeit, als es erhält. Jeder, der kein Herz aus Stein hat, sollte dieses einmalige Debüt gelesen haben. Mit ihrem ruhigen, eindringlichen Schreibstil, ihrer einzigartigen, liebenswerten Protagonisten, ihren liebevoll gezeichneten Nebenfiguren und ihrer feinfühlen, sensiblen Darstellung von schwierigen Themen wie Trauer, Erwachsenwerden und Freundschaft hat sich Carol Rifka Brunt ohne Umwege in mein Herz geschrieben. „Sag den Wölfen, ich bin zu Hause“ ist für mich ein absolutes Jahreshightlight und eines der besten Bücher, die ich je gelesen habe! ~

* Die Rezension enthält leichte Spoiler! *

Inhalt

Finn hinterlässt seinen beiden Nichten June und Greta ein liebevoll gemaltes Portrait, als er viel zu früh durch eine rätselhafte Krankheit aus dem Leben gerissen wird. Junes Patenonkel und bester Freund, der ein angesehener Künstler war, wird von June schmerzlich vermisst, schien er doch der einzige Mensch in ihrem Leben zu sein, der sie verstand. Auf der Beerdigung ihres Onkels sieht das 15-jährige Mädchen zum ersten Mal Toby, Finns „speziellen Freund“. Angeblich hat er ihren Onkel mit der Krankheit angesteckt, ist also sein Mörder. Eines Tages erhält das Mädchen einen unerwarteten Brief: Toby will sie treffen…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Verlag: Eisele
Seitenzahl: 448
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präteritum
Perspektive: aus weiblicher Perspektive (June)
Kapitellänge: mittel
Tiere im Buch: ♥ Es werden keine Tiere gequält, verletzt oder getötet. Im Gegenteil, eines wird sogar gerettet.

Warum dieses Buch?

Von selbst hätte ich vermutlich nicht einmal zum Buch gegriffen, so manche begeisterte Rezension hat mich dann aber doch überzeugt, es zu wagen – eine der besten Leseentscheidungen, die ich je getroffen habe!

Meine Meinung

Einstieg (+)

„Meine Schwester Greta und ich saßen an diesem Nachmittag Modell für ein Gemälde, das mein Onkel Finn von uns anfertigte, weil er wusste, dass er bald sterben würde.“ E-Book, Position 24

Dieser ruhige und doch traurige Satz bereitet einen eigentlich schon darauf vor, was für ein emotionales Buch einen hier erwartet. Dennoch fiel mir der Einstieg nicht sofort leicht, bereits nach einigen Seiten jedoch befand ich mich schon mitten im Geschehen und wollte unbedingt weiterlesen.

Schreibstil (♥)

Carol Rifka Brunt ist eine großartige Geschichtenerzählerin: Mit ihrem anschaulichen, ruhigen, angenehmen Schreibstil, der in genau richtigem Maße komplex ist, zaubert sie einem gleichzeitig Tränen in die Augen und ein Lächeln ins Gesicht. Ich wäre ihr überallhin gefolgt. Mit ihren emotionalen, eindringlichen, immer wieder auch poetischen und weisen Worten schrieb die Autorin sich zielsicher direkt in mein Herz und sorgte dafür, dass ich so tief in die Geschichte eintauchte, dass ich nach der Lektüre nur schwer wieder an die Oberfläche zurückfand.

„Ich starrte angestrengt nach draußen und versuchte, ein Muster zu erkennen. Dachte, wenn ich mich richtig bemühen würde, würden sich die Einzelteile der Welt wieder zu etwas zusammenfügen, das ich verstehen konnte.“ E-Book, Position 2391

Inhalt, Themen, Botschaften & Ende (♥)

Warum lesen wir? Warum hören wir auch nicht damit auf, wenn wir das dritte zähe, langatmige Buch hintereinander beendet haben? Ganz einfach: Weil wir immerzu, zielstrebig und ausdauernd nach der Suche nach diesem einen Buch sind – nach diesem einen, das uns vollkommen mitreißt, uns auseinandernimmt und dann neu zusammen setzt. Nach diesem Buch, das seine Spuren in unserem Herzen hinterlässt und bei dem wir uns fühlen, als würden wir endlich heimkommen. „Sag den Wölfen, ich bin zu Hause“ war dieses Buch für mich.

Ich habe mich schleichend mit jeder Seite mehr in diese Geschichte verliebt, konnte im Alltag an kaum etwas anderes denken, weil meine Gedanken und mein Herz sich vollkommen darin verfangen hatten. Nach dem Lesen blieb ich erstmal sprachlos zurück, war ein einziger Ball aus den verschiedensten Emotionen: Traurigkeit, Glück, Begeisterung, Wehmut, dass die Geschichte vorbei ist. Das Buch wurde vom Wall Street Journal, vom Oprah Magazine, von Booklist und Kirkus Reviews zum besten Buch des Jahres gewählt und von vielen Kritikern gefeiert – kein Wunder! Dennoch hätte dieses Buch noch viel mehr Aufmerksamkeit verdient, sollte eigentlich wochenlang auf der Bestsellerliste ganz oben stehen, denn dieses Buch sollte jeder, der kein Herz aus Stein hat, gelesen haben.

In ihrer berührenden Coming-of-Age-Geschichte, die irgendwo zwischen Jugendbuch und Erwachsenenroman anzusiedeln ist, behandelt Carol Rifka Brunt schwierige Themen wie Aids, Trauer, Freundschaft, Vorurteile, Eifersucht, Emanzipation von der Familie, Alkohol- und Zigarettenmissbrauch, Selbstfindung, Erwachsenwerden, Schuld, Wahrheit, Geheimnisse und Liebe sensibel, tiefgreifend und mit viel Feingefühl. Besonders interessant waren nicht nur das Setting in den 80er-Jahren, sondern auch die Einstellung gegenüber Aids, die damals so stark von Unwissen und Vorurteilen geprägt war. Niemand wusste, woher diese Krankheit, die eng mit dem Thema Homosexualität verknüpft wurde, übertragen wurde. Die verschiedenen Facetten der Trauer und ihre schwierige Verarbeitung (inklusive unerwarteter Weinkrämpfe) werden von der Autorin unheimlich authentisch und berührend beschrieben. Wer schon einmal einen Menschen verloren hat, der ihm sehr nahestand, wird Junes Gefühle nur allzu gut wiedererkennen.

Wer übrigens Angst hat, dass das Thema Kunst einen zu großen Teil im Buch einnimmt, den kann ich beruhigen: Das Portrait und Finn sind ein wichtiger Aspekt im Buch, aber sicher nicht der wichtigste. Dieses Thema ist nur eines von vielen, und es wird gelungen eingewebt. Viel steckt bei diesem Buch, das voller einzigartiger Metaphern und Symbole ist, zwischen den Zeilen, wird nur angedeutet. Carol Rifka Brunt ermutigt die LeserInnen, sich voll und ganz auf dieses tiefgründige Buch einzulassen und einen genaueren Blick zu riskieren.

„Ich blieb einfach sitzen und gestattete dieser Bestie aus Traurigkeit, sich über meine Schultern zu legen, und wartete darauf, dass sie mir ins Ohr flüsterte, warum sie da war. Und genau das tat sie. Sie kroch ganz nah heran und flüsterte es mir ins Ohr.“ E-Book, Position 2696

Protagonistin (♥)

Ich habe June als Protagonistin wirklich von der ersten Seite an geliebt. Ihre Zuneigung ihrem Onkel gegenüber wird so ehrlich und zart beschrieben, spiegelt so gut die Hoffnungen und Ängste einer 15-Jährigen wider, dass man nicht anders kann, als von dieser liebevoll gezeichneten Figur beeindruckt zu sein. June ist mir sofort ans Herz gewachsen, denn ich mochte so vieles an ihr: ihre treffenden Beobachtungen menschlicher Verhaltensweisen, ihre tiefgründigen, interessanten Gedanken, die Tatsache, dass sie sich für ihre kleinen Verrücktheiten nicht schämt, ihre offene Einstellung und ihren Mut, ihrem Herzen zu folgen und für ihre Überzeugungen einzustehen. Ständig will man diese ruhige, intelligente Person von ihren Mitschülerinnen und ihrer oft sehr gemeinen Schwester beschützen. Sehr gelungen fand ich, wie die Autorin diese Zeit zwischen Kindheit und Erwachsenwerden eingefangen hat: Stellenweise wirkt June kindlich, fast naiv, dann wieder sehr reif. Carol Rifka Brunt hat hier eine wundervolle, einzigartige, Figur mit Fehlern geschaffen, die für mich unvergesslich ist! (Sie hat mich übrigens sehr an Suzy aus „Die Wahrheit über Dinge, die einfach passieren“ von Ali Benjamin erinnert - wenn euch also „Sag den Wölfen, ich bin zu Hause“ gefallen hat, kann ich euch auch dieses Buch nur wärmstens ans Herz legen.)

„Ich weiß alles über die Liebe, die zu groß ist, um in einem winzigen Gefäß verschlossen zu bleiben. Die überläuft und überall herausschwappt […] “ E-Book, Position 4420

Figuren (♥)

Doch auch die anderen Figuren hat die Autorin bis in die Nebencharaktere liebevoll ausgearbeitet, mit Stärken, Schwächen, Sorgen und Träumen versehen. Sie entwickeln sich glaubwürdig und ihre oft sehr komplizierten Beziehungen zueinander, die nicht selten voller Spannungen sind, werden gekonnt beschrieben. Vor allem Toby, der mit der Trauer um seinen Lebensgefährten sehr zu kämpfen hat, fand ich wundervoll. Er ist mir sehr ans Herz gewachsen, ich wollte ihn eigentlich die ganze Zeit nur beschützen. Einziger Verbesserungsvorschlag: Manchmal hätte ich mir gewünscht, dass die Figuren einfach einmal offen miteinander reden, so vieles wäre dadurch leichter geworden. Auch manche Aspekte hätten noch etwas klarer ausformuliert werden können.

Spannung & Atmosphäre (♥)

Kennt ihr das, wenn euch ein Buch so sehr gefällt, dass ihr es eigentlich genießen und ganz langsam lesen wollt? Kennt ihr das Gefühl, wenn ihr euch trotzdem nicht davon losreißen könnt und es gierig und maßlos verschlingt? So ist es mir mit diesem Buch ergangen, der Drang weiterzulesen (und der Wunsch nach einem Happy End) war so stark, dass ich nicht dagegen ankämpfen konnte. Dieses Buch ist eine Gefühlsachterbahn, erweckt große, nuancierte Emotionen, bricht uns ständig das Herz und tröstet uns im selben Moment. Taschentücher bereithalten!

„Die Sonne war mit ihrem Verschwinden beschäftigt, und ich dachte darüber nach, wie viele kleine Dinge in der Welt möglicherweise auf den Schultern von etwas Schrecklichem ruhten.“ E-Book, Position 3706

Humor (♥)

Nicht einmal hier könnte ich das Buch kritisieren, zwischendurch hat es mich nämlich durchaus zum Schmunzeln gebracht, beispielsweise wenn wieder ein Brief vom „Verein junger Falkner“ ins Haus flatterte.

Geschlechterrollen (+/-)

Sowohl Greta als auch June sind selbstbewusste Mädchen, und auch ihre Mutter arbeitet hart und gleichberechtigt mit ihrem Vater in Vollzeit, was bestimmt fortschrittlich ist für die damalige Zeit. Jedoch findet sich auch stets nur die Mutter in der Küche und kocht, der Vater scheint sich am Haushalt gar nicht zu beteiligen.

Mein Fazit

Bücher wie „Sag den Wölfen, ich bin zu Hause“ sind der Grund, warum ich lese. Diese wundervolle, emotionale Coming-of-Age-Geschichte hat mich tief berührt und verdient tausend Mal mehr Aufmerksamkeit, als es erhält. Jeder, der kein Herz aus Stein hat, sollte dieses einmalige Debüt gelesen haben. Mit ihrem ruhigen, eindringlichen Schreibstil, ihrer einzigartigen, liebenswerten Protagonisten, ihren liebevoll gezeichneten Nebenfiguren und ihrer feinfühlen, sensiblen Darstellung von schwierigen Themen wie Trauer, Erwachsenwerden und Freundschaft hat sich Carol Rifka Brunt ohne Umwege in mein Herz geschrieben. „Sag den Wölfen, ich bin zu Hause“ ist für mich ein absolutes Jahreshightlight und eines der besten Bücher, die ich je gelesen habe!

Dieses Buch würde ich mir auch noch als Print in meinem Regal wünschen (werde mir diesen Wunsch vermutlich bald erfüllen), und ich werde es in der nächsten Zeit mit Sicherheit exzessiv zu Geburtstagen verschenken. ;) Betrachtet das nächste Werk von Carol Rifka Brunt als gekauft, denn ich habe eine neue Lieblingsautorin für mich entdeckt.

Leseempfehlung: Uneingeschränkte Leseempfehlung! Ich kann euch dieses Buch nur wärmstens ans Herz legen: Lasst euch darauf ein, lasst euch das Herz brechen, lasst euch trösten und (ganz wichtig):  Haltet Taschentücher bereit!

Bewertung

Idee, Themen, Botschaft: 5 Sterne ♥
Worldbuilding: 5 Sterne ♥
Ausführung: 5 Sterne ♥
Einstieg: 4,5 Sterne
Schreibstil: 5 Sterne ♥
Protagonistin: 5 Sterne ♥
Nebenfiguren: 5 Sterne ♥
Atmosphäre: 5 Sterne ♥
Spannung: 5 Sterne ♥
Ende: 4,5 Sterne
Emotionale Involviertheit: 5 Sterne ♥
Geschlechterrollen: +/-

Insgesamt:

❀❀❀❀❀♥

Dieses Buch bekommt von mir 5 absolut verzauberte Lilien und natürlich auch ein Herz – und somit den Lieblingsbuchstatus!