Rezension

Entschleunigter und eigenwilliger Kinder- und Jugendkrimi

Mord ist nichts für junge Damen
von Robin Stevens

Bewertet mit 4 Sternen

Wir schreiben das Jahr 1934 und befinden uns in einem strengen, britischen Mädcheninternat. Hier entdeckt die 13-jährige Hazel Wong eines Abends ihre Lehrerin Miss Bell tot auf dem Boden der Turnhalle. Als sie kurze Zeit später in Begleitung an den Tatort zurückkehrt, ist Miss Bell verschwunden – keine Spur von der Leiche, keine Hinweise, dass etwas Ungewöhnliches geschehen ist. Damit hat die Detektei Wells und Wong endlich ihren ersten ernsthaften Fall. Denn im Gegensatz zu der ziemlich geschockten Hazel ist deren Freundin Daisy Wells ganz versessen darauf, einen richtigen Mord aufzuklären. Ein waschechter Sherlock braucht natürlich einen Watson – und ehe sie sich versieht, hält Hazel einen Notizblock und einen Stift in der Hand und feilt gemeinsam mit Daisy an einer Liste der Verdächtigen.

Die 1930er Jahre - das ist für die heutigen Kids eine Zeit, die sie nicht einmal aus Erzählungen ihrer (zumeist etwas jüngeren) Großväter und Großmütter kennen und die für viele wohl sehr fremd wirken dürfte, zumal die Autorin versucht, auch den Schreibstil zeitgemäß zu gestalten. Die Lehrerinnen heißen Fräulein oder Mamzelle, es gibt das Unterrichtsfach „Haltung“, ein Sanatorium und darüber hinaus haben die Schülerinnen ihre eigenen Wortschöpfungen wie Traummann, süße Pause und zermatschte Fliegen… viele Begriffe werden im Glossar erklärt, einige nicht, erschließen sich für den erwachsenen Leser aber aus dem Zusammenhang. Da ich mich zuallererst gefragt habe, wie die Erzählweise bei Kindern ankommt, habe ich meinen fast zwölfjährigen Sohn Probe lesen lassen, der damit leider nichts anfangen konnte. Und das lag nicht daran, dass sich die Handlung in einem Mädcheninternat abspielt. Er kam häufig mit den Namen durcheinander (Miss Bell, Miss Lappet, Miss Hopkins, Miss Griffin etc.) und fand die Entwicklung insgesamt zu langsam. Definitiv muss man sich auf diesen sehr entschleunigten Stil einlassen können.

Ich könnte mir vorstellen, dass erwachsene Leser den nostalgischen Charme der Geschichte sehr viel mehr honorieren können. Und auch die liebevolle Gestaltung. Gleich auf den ersten Seiten findet sich ein Grundriss der Schule, der sämtliche Orte zeigt, sogar die kleinste Besenkammer. Das sieht ein bisschen aus wie ein Cluedo-Spielbrett und macht sofort Lust mitzuraten.
Auch die Geschichte entwickelt sich – ähnlich alter Agatha-Christie-Geschichten, von denen die Autorin ein großer Fan ist – auf eine unaufgeregte, nüchterne Art. Es kommt zwar immer wieder Spannung auf, aber der Hauptteil ist der Deduktion vorbehalten, die gar nicht so einfach ist, denn die Internatsschülerinnen in diesem Buch sind selten unbeobachtet, sondern werden von der strengen Lehrerschaft mit Argusaugen bewacht. Es gibt eine klare Trennlinie zwischen Kindern und Erwachsenen, denen mit viel Respekt oder immerhin mit Ehrfurcht begegnet wird (wenn auch nur nach außen hin). Um sich etwas Freiraum für ihre Nachforschungen zu verschaffen, müssen Wells und Wong daher sehr erfindungsreich vorgehen.

Zeit ist aber nicht das einzige Problem der beiden Detektivinnen. Daisy und Hazel sind nämlich sehr unterschiedlich, was in Freundschaften nicht immer unproblematisch ist. Daisy ist hübsch, ungestüm und furchtlos; Hazel ist korrekt, pummelig und kommt zudem aus Asien, einem für ihre Mitschülerinnen fremdartigen Teil der Welt. So plagen Hazel ständige Zweifel, ob Daisy denn eine wirkliche Freundin ist. Was kein Wunder ist, denn Daisy springt manchmal ganz schön rüde mit Hazel um und hat sie zur Begrüßung an der Schule gleich mal ein paar Stunden in einem alten Koffer eingesperrt. Der Mordfall ist für die beiden daher auch ein Härtetest für ihre Freundschaft. Die Mädchen müssen zusammenarbeiten und aufeinander hören. Gibt es etwas Schwierigeres für zwei 13-Jährige? Rund um viel klassische Detektivarbeit schlängelt sich daher die Beziehung von Wells und Wong, die sehr realistisch und altersnah gestaltet ist. In diesem Buch sind Kinder wirklich Kinder. Das lässt vor allem Daisy nicht immer sympathisch wirken, aber doch sehr echt.
Da die Erwachsenenwelt für die Schülerinnen insgesamt ein Buch mit sieben Siegeln ist, können Daisy und Hazel allerdings oft nur belauschen und beobachten. Dadurch wirkt die Handlung ab und zu etwas passiv und es entstehen im Mittelteil einige Längen.

Die Lösung ist aus heutiger Sicht nicht ganz leicht nachzuvollziehen, da sie teilweise mit den besonderen Umständen damaliger Zeit zu tun hat. Obwohl in der Geschichte ein paar kleine Hinweise eingebaut sind, die es möglich machen mit zu rätseln, konnte selbst ich den Fall nicht aufklären, fand das Ende aber trotzdem schlüssig.

Für mich war das erste Buch über Wells und Wong insgesamt eine interessante Geschichtsstunde und ein unterhaltsamer, altmodischer Kriminalfall. Trotz viel kindgerechtem Internatsflair ist das Buch aber bestimmt nicht für alle jungen LeserInnen leicht zugänglich.
Ich werde an der Reihe aber sicher dranbleiben, schon um zu sehen, wie sich die ungewöhnliche Beziehung zwischen Wells und Wong weiterentwickelt. Ich hoffe, ich habe dazu auch in deutscher Sprache Gelegenheit: Auf Englisch sind bisher fünf Bände erschienen, die Autorin plant zwei weitere.