Rezension

Familie, ungeschminkt

Der Sommer mit Pauline - Ivan Calbérac

Der Sommer mit Pauline
von Ivan Calbérac

Bewertet mit 3 Sternen

Émile ist verliebt. In Pauline, von seiner Schule.

Langsame Annäherungsversuche in den Freistunden münden in einer Einladung nach Venedig, wo Pauline mit einer Jugendtruppe ein Konzert unter der Leitung ihres Vaters gibt. 

Émile und Pauline stammen scheinbar aus unterschiedlichen Welten. Wo Pauline aus einer scheinbar vornehmen, reichen Familie stammt, lebt Émile im Keller einer Nachbarin des Baugrundstückes, für das seine Eltern noch auf die Baugenehmigung warten und selbst dort in einem Wohnwagen schlafen. 
Mit eben jenem Wohnwagen macht sich Émiles Familie auf nach Venedig, auch Émiles älterer Bruder ist überraschend mit von der Partie. 
Gegenüber Pauline gibt Émile nicht zu, dass er seine Familie im Schlepptau hat und behauptet, er besuche entfernte Cousins. Als dann schließlich doch die Wahrheiten der beiden Familien aufeinanderprallen, stellen alle fest: das Gras ist auf der anderen Seite auch nicht grüner.

Ungeschminkt (und etwas altklug) beschreibt Émilie einen chaotischen Roadtrip, weil natürlich auf dem zeitlich eng abgepassten Weg nach Venedig so allerhand schief geht. Erwartungen der Familienmitglieder aneinander kollidieren in diesen emotionalen Tagen miteinander und Émile durchlebt ein Gefühlschaos, wie es nur die erste Liebe hervorrufen kann. 

Das ist sprachlich wunderbar gemacht. Maya Schneider übersetzt Ivan Calberac sehr einfühlsam und mit einem unterschwelligen Humor. 

"Mich machen Mädchen nicht unbedingt krank, sie werfen mich eher aus der Bahn. Aber ich bin auch keiner, der mit beiden Beinen fest auf dem Boden steht." 

Sprachliche, sogar mathematische Wortspiele finden sich im Buch zuhauf und machen es ein Vergnügen, zu lesen. Doch wo ungeschminkte Wahrheit durch liebevolle Augen durchaus lustig sein kann, offenbaren Sie teils auch grausam Unzulänglichkeiten. Der fast erwachsene Sohn, der seit Kindestagen regelmäßig die Haare gefärbt bekommt, weil er (O-ton Eltern) 'so viel besser aussieht', die Ohrfeigen, die Entschuldigung auf den Knien - das trübt den 'oh so französischen' Charme doch sehr und lässt mich mit dem Buch hadern. Die Offenheit des Erzählers ist nämlich die große Stärke des Buches, das davon abgesehen vom Zauber der ersten Liebe erzählt, wie es schon viele zuvor gemacht haben. Das 'französisch-unverblümte' geht ans Herz, doch die allzu ungeschminkte Wahrheit wollte ich vielleicht gar nicht hören - zumindest nicht in diesem (der Verpackung nach) leichte Sommerbuch.  

Doch die Verpackung ist nicht nur optisch irreführend, sondern auch vom Titel her, denn der 'Sommer mit Pauline' ist letztlich ein Wochenende im April. Und Aprilwetter, das kennt man ja, ist sehr wechselhaft - und Émile gerät in das Auge eines Sturmes, wenn auch nur eines Gefühlsturmes. ;)