Rezension

Ganz große Erzählkunst

Marschlande -

Marschlande
von Jarka Kubsova

Bewertet mit 5 Sternen

Britta lebt jetzt mit ihren Kindern, Marscha und Ben und ihrem Mann Philipp in den Marschlanden, einem Bezirk in Hamburg Bergendorf. Sie liebt die Reetdachhäuser von denen sie umgeben sind, Philipp jedoch bevorzugte ein größeres Haus im Neubaugebiet, viel Beton, viele Fenster. Im Gegensatz zu Britta ist Philipp angekommen, sie glaubt noch etwas Zeit zu brauchen. Statt die restlichen Kartons auszupacken, streift sie durch die Gegend, versucht sich die Deichlandschaft zu erschließen. 

Als sie mit Marscha schwanger war, verzichtete sie auf eine Karriere als erfolgreiche Geologin. Philipp arbeitete mehr und brachte ein gutes Einkommen nach Hause. Sicher, sie hatte sich schon etwas mehr Einsatz von ihm gewünscht, um auch einmal Freiräume für sich zu schaffen, es dann aber hingenommen, wie es war. Jetzt ist er so eingespannt, dass er ihr abends nicht mehr zuhört, fast beschleicht sie das Gefühl, dass er sich nicht mehr für sie interessiert. 

Britta fühlt sich in ihrer Umgebung wie eine Fremde, bleibt nirgends zu lange stehen, versucht keine unnötige Aufmerksamkeit zu erregen, ein Gefühl beschleicht sie. Ein Gefühl, das sie kennt, als wäre es in ihre Genetik gebrannt. Sie liest den Namen eines Straßenschildes: Abelke Bleken – Straße und der Name geht ihr nicht mehr aus dem Sinn.

Britta forscht nach, was es mit dieser Frau auf sich hatte, die im fünfzehnten Jahrhundert hier lebte und entdeckt allerlei Ungerechtigkeiten und Grausamkeiten. Während sie in die Geschichte Abelkes eindringt findet sie Parallelen zu ihrem jetzigen Leben und ihrem Dasein als Frau. Als ihre Tochter durch sexistische Stimmen ihrer neuen MitschülerInnen gemobbt wird schließt sich der Kreis des kaum Aushaltbaren. 

Es reichte eine Frau zu sein, ein Mädchen, das reichte schon, um in Gefahr zu sein, eine Zielscheibe zu sein, erst recht, wenn man sich vorwagte, mit etwas herausragte, aus der Rolle fiel, die falschen Wege betrat oder zur falschen Zeit. S. 166

Fazit: Wow, was für eine Geschichte, geistreich, kreativ und so gut recherchiert. Jarka Kubsova hat eine Botschaft. Sie vermittelt uns, was ich auch so oft gespürt habe, was es heißt eine Frau zu sein. Es ist als wäre unsere Amygdala (Sitz der Angst unterhalb der Hypophyse) epigenetisch vergrößert, was uns zu vermehrter Angst, Sorge und Vorsicht bringt. Allein wegen unserem Geschlecht, sind wir manigfaltigen Gefahren ausgesetzt. Wenn dann noch patriarchales Machtdenken oder strukturelle Ungerechtigkeiten hinzukommen, werden wir aus der Bahn geworfen. 

Die Technik der Autorin ist große Erzählkunst. Jedes Kapitel wird zu einem Cliffhanger, sie widmet ein Kapitel Britta und unserer Gegenwart, im nächsten schaut sie in Abelkes Vergangenheit. Sie lässt sich Zeit diese Geschichten zu erzählen, mich jedoch nicht ungeduldig zappelnd zurück, sondern hält mir einen interessanten anderen Erzählstrang hin, den ich dankbar annehme. Selten hat mich ein Buch, durch seine bildhafte Sprache so sehr bewegt, wie Marschlande. Danke, Jarka Kubsova, dass ich etwas so mitreißendes, schönes lesen durfte. Chapeau.