Rezension

Sehr gutes Buch über Misogynie im Wandel der Zeit

Marschlande -

Marschlande
von Jarka Kubsova

Bewertet mit 4 Sternen

Um 1580 im Hamburger Marschland führt Abelke Bleken allein einen großen Hof. Für eine Frau zu dieser Zeit ist das nicht ungefährlich, insbesondere, wenn sie auch noch weiß, was sie tut. Dank weiser Voraussicht ist ihr Hof von einer Springflut weniger betroffen als andere Höfe. Das ruft Neid, Missgunst und Misstrauen auf den Plan.

450 Jahre später zieht Britta Stoever in das Hamburger Marschland. Als studierte Geologin würde sie sich sicherlich als emanzipierte Frau betrachten. Erste Risse zeigen sich, doch werden ignoriert, als ihr Mann die Kaufentscheidung für das Haus trifft. Nun sitzt Britta ohne Job und Beschäftigung in ihrem “Eispalast” im Marschland. Ihr bleiben lange Spaziergänge und die Hausarbeit. Bei ihrem Engagement für den Heimatverein stößt sie auf die Geschichte von Abelke Bleken und taucht immer tiefer in diese ein. Und stellt dabei fest, dass ihre Lebensumstände mehr mit denen von Abelke gemein haben, als ihr lieb ist.

Ich muss zugeben, dass ich dieses Buch zunächst mit anderen Erwartungen gelesen habe. Ausgegangen war ich von einem historischen Roman zu einer wahren Geschichte. Nachdem ich dann recht zu Beginn der Geschichte nach Abelke Bleken gegoogelt habe, hatte ich mir auch etwas die Spannung genommen. Spannung ist etwas, das man von diesem Buch insgesamt weniger erwarten kann, insbesondere im Handlungsstrang um Britta. Die Geschichte geht auch weit darüber hinaus, nur ein historisches Ereignis wiederzugeben. Es geht vielmehr um das Erkennen von Mustern. Neben der Lebensgeschichte von Abelke Bleken seziert “Marschlande” vor allem das Aufkommen neuer Strukturen. War es zunächst noch üblich, dass die Menschen seit Generationen Bauern waren und ihre eigenen Höfe und Ländereien bewirtschafteten, werden wir hier Zeuge des aufkommenden Kapitalismus. Zunehmend geht es um Investitionen von Hamburger Bürgern, das Aufkaufen von Land, und die Ansammlungen von Besitzungen. Dabei steht Abelkes Geschichte eigentlich nur symptomatisch für etwas, das zunehmend mehr Bauern ereilt hat. Was Brittas Geschichte damit zu tun hat, wird erst auf den zweiten Blick deutlich und irritiert daher ein ums andere Mal, wenn der Handlungsstrang wechselt. Gerade das Nachwort der Autorin bietet hier noch einmal viel Substanz, die zum Verständnis beiträgt.

Mich hat dieses Buch sehr positiv überrascht. Man traut es sich kaum zu schreiben, weil dann viele dieses Buch von vornherein nicht lesen, obwohl es für sie aufschlussreich und interessant sein könnte: ja, dieses Buch ist deutlich feministischer ausgerichtet, als ich erwartet hatte. Dass die Hexenprozesse der Vergangenheit viel mit Misogynie und Machtverhältnissen zu tun hatten, ist längst bekannt. Dennoch empört und berührt es einen, Abelkes Geschichte zu lesen. Bei Britta fällt einem das Mitfühlen deutlich schwerer, weil sie unsympathischer wirkt. Auch sind die Probleme hier subtiler und damit nicht immer so eindeutig ungerecht. Gleichzeitig sind die Geschichten jedoch in eine faszinierende Umgebung verpackt. Die Autorin hat einen atmosphärischen Erzählstil: die vielen gelungenen Natur- und Tierbeschreibungen erwecken eine klamme, düstere und manchmal bedrohliche Stimmung, die der ganzen Geschichte einen sehr passenden Rahmen gibt. Auch sprachlich ist das Buch ein Genuss.

“Marschlande” hat mir sehr viele Denkanstöße mitgegeben und das oft auf eine fesselnde Art (zumindest bei Abelke). Der Handlungsstrang im Britta war mir allerdings für einen Roman dann doch etwas fade. Und dennoch ist dieses Buch eines meiner Jahreshighlights, weil es so wichtige Botschaften auf zumeist tolle Weise mit einem tollen Schreibstil vermittelt.