Rezension

I love you, you pay my rent

Die Einladung -

Die Einladung
von Emma Cline

Bewertet mit 5 Sternen

"Ein Zwiegespräch als reibungslose Transaktion geführt, ein seidenweiches Hin und Her ohne Einbruch der Realität. Fast alle bevorzugten die Geschichte. Alex hatte gelernt, sie zu liefern, hatte gelernt, wie man die Leute in den Bann zog mit einer Vision ihrer selbst, erkennbar, aber zehn Stufen höher gedreht, verstärkt zu etwas Besserem."

Das Escort Girl Alex ist aus ihrer WG geflogen, wird von einem mafiösen Exfreund bedroht, ist pleite und hat ein Drogenproblem. Die letzte Rettung scheint Simon zu sein, Kunsthändler in seinen 50ern und „Berufsgesunder“. Er nimmt sie mit in sein Haus in den Hamptons - wenn es ihr gelingt, ihn zu bezirzen, so hofft sie, kann dies vielleicht etwas „Echtes“ werden. Aber dann blamiert sie ihn auf einer Party und bekommt den Laufpass. Sie redet sich ein, ihn zurückgewinnen zu können – dazu muss sie eine Woche lang bis zu seiner Labour Day Party durchhalten und einen überzeugenden Auftritt hinlegen. Nur wohin bis dahin? Alex schleicht sich in eine Feriengruppe ein, wird Partycrasher, schläft am Strand, immer eine Nacht nach der anderen, irgendwoher Essen bekommen, eine Dusche.

Alex ist keine sympathische Figur. Sie lügt, stiehlt, manipuliert. Bürgerliche Werte scheinen für sie nicht zu gelten. Warum ist das so? Die Frage drängt sich auf, aber Cline verweigert die gängigen psychologischen Deutungen: „Aber wie sollte Alex erklären, dass es keinen Grund gab, dass ihr nie etwas Schlimmes widerfahren war. Es war alles ganz normal gewesen.“

Die klassische Weiterführung der Story ginge a la Pretty Woman, die moderne Version so: Alex durchläuft diverse Krisen, erlangt Erleuchtung durch bedeutsame Begegnungen, geht auf´s College, verwirklicht sich in einem tollen Job und kriegt ihr Leben in den Griff.

Nicht in diesem Roman. Selbstverwirklichung ist unmöglich für Alex – wenn sie je ein Selbst hatte, hat sie es sich abtrainiert. „Keine Reibungsfläche bieten“ ist eine ihrer Regeln. Sie verkauft Fiktion. „Fast alle bevorzugten die Geschichte. Alex hatte gelernt, sie zu liefern, hatte gelernt, wie man die Leute in den Bann zog mit einer Vision ihrer selbst, erkennbar, aber zehn Stufen höher gedreht, verstärkt zu etwas Besserem.“ Alex ist nichts weiter als eine Hohlform für Weiblichkeit, eingekauft, um beliebig gefüllt zu werden.

Auch Erleuchtung ist nicht zu haben, außer in der Lektüre von Jack, einem depressiven Teenager, mit dem sie in ein Poolhaus einbricht. Er liest ihr aus Hesses „Siddharta“ vor – aber auch das rauscht an Alex vorbei, wie alles, was zu Kontakt mit der Realität führen könnte. In der oberflächlichen und materialistischen Welt, in der Alex sich bewegt, ist alles ein Tauschgeschäft. Begegnet Alex ein netter Mensch, sucht sie sofort nach dem materiellen Grund für die Nettigkeit – denn die kann nicht echt sein. Einzig ein junger Hund kommt ihr vor „wie ein Gesandter aus einer anderen, besseren Welt.“ Ihre lebendigsten Momente hat sie, wenn sie Neid empfindet. Neid ist für sie „… wie Adrenalin, ein schneller Flash, der ihr geradewegs zu Kopf stieg. Manchmal war es besser, nicht zu wissen, dass bestimmte Dinge existierten.“

Die Ironie an Alex´ Geschichte ist, dass sie sich unsichtbar macht, um besser gesehen zu werden. Cline lässt sie auch darin scheitern – Alex gelingt es einfach nicht, so glatt zu sein wie sie sein müsste, obwohl das ihr erklärtes Ziel ist.  Sie hat keinen Plan und entscheidet ad hoc, und meistens falsch.. Sie sucht bei Simon das Echte und ist dabei so unecht wie nur möglich.  Sie sucht Zuverlässigkeit und ist selbst unzuverlässig. Es gibt keine Verbindlichkeit in ihrer Welt. Man kann nicht anders, als an den Kosmos von Instagram & Co. zu denken.

Was sich zunächst wie ein Thriller liest, ist alles andere als typische Strandlektüre, auch wenn ein großer Teil der Handlung am Strand spielt. Wer einen Roman mit klassischen Erzählstrukturen erwartet, wird hier ebenfalls enttäuscht, aber dennoch hat die Story einen beklemmenden Sog. Es gibt kein Happy End, aber auch kein krachendes Thriller-Finale. Stattdessen ein offenes Ende – dessen Ausgang man sich leicht denken kann.

Man könnte den Roman als Kritik an der exklusiven Welt der Reichen lesen oder an der enormen Schere zwischen Arm und Reich in den USA, aber das wäre zu platt und greift zu kurz. Auch Alex´ „normale“ Welt in NY, abseits der Reichen und Schönen, dreht sich nur um äußerliche und materielle Dinge: Der vermarktbare Grad an Attraktivität, gestohlene Schmerzmittel, Schulden. Ich lese den Roman als Darstellung existenzieller Verlorenheit in einer sinnentleerten, durch und durch kommerzialisierten Welt. Clines kühle, zurückhaltende Sprache verleiht dem Roman den dazu passenden Sound.