Rezension

Interessante Thematik, aber mit Schwächen

Die Formel der Hoffnung -

Die Formel der Hoffnung
von Lynn Cullen

Da ich vor einer Weile den Film "Solange ich atme" gesehen hatte, der die Lebensgeschichte des an Polio erkrankten Robin Cavendish erzählt, hat mich das Thema interessiert, und ich wollte in "Eine Formel der Hoffnung" mehr über die Entwicklung der Polioimpfung erfahren.

Das Buch zeigt, wie aufwendig und schwierig die Suche nach einem wirksamen und zugleich sicheren Impfstoff gegen Polio war. Mir war bisher nicht bekannt, wie massiv und verheerend die endemischen Polioausbrüche weltweit bis in die 1960er Jahre waren, und welche Ansätze verfolgt wurden, um die Infektionswege zu identifizieren. Ein Verdienst des Buches ist es, die Wissenschaftlerin Dorothy Horstmann, die maßgeblich an der Erforschung des Polio-Virus beteiligt war und deren Forschung entscheidend zur Entwicklung eines Impfstoffs beitrug, zu würdigen. Während Jonas Salk und Albert Sabin weltweit berühmt sind, ist Dorothy Horstmanns Name in der Öffentlichkeit nicht bekannt.

Über die medizinischen Hintergründe, die damalige Behandlung von Poliopatienten (insbesondere die Eiserne Lunge) und die wissenschaftliche Forschungsarbeit von Horstmann, Sabin, Salk, Brodie und Co. hätte ich in diesem Buch gerne mehr erfahren. Dass ein Roman keine wissenschaftliche Abhandlung ist, versteht sich, aber die Autorin bleibt so sehr an der Oberfläche, dass selbst die grundlegende Methodik der Forschergruppen im Dunkeln bleibt. Hier hätte sie den Leser*innen durchaus mehr zutrauen dürfen. Dies wäre auch den beschriebenen Tagungen und Forschertreffen zugute gekommen, da die laienhaften Dialoge der Wissenschaftler untereinander recht unglaubwürdig sind. Das ist schade, da so im Roman nicht einmal klar wird, worin genau die Schwierigkeiten beim Nachweis des Polio-Virus im Blut bestanden und warum die Entwicklung der verschiedenen Polio-Impfungen (Lebend- und Totimpfstoffe) so viel komplizierter war als die anderer Impfstoffe.

Stattdessen spricht der Roman eher die Gefühlsebene an und bedient auch einige Klischees. Die weiblichen Wissenschaftlerinnen sind mitfühlende Teamworkerinnen, denen es ums große Ganze und die Linderung des Leids geht, während die männlichen Kollegen als skrupellose, selbstverliebte, von Ehrgeiz und Konkurrenzkampf getriebene Egomanen dargestellt werden. Dass Streben nach Ruhm und Konkurrenzdenken im Wissenschaftsbetrieb weit verbreitet sind, ist sicher richtig, doch auch Frauen sind davon nicht ausgenommen, und auch männlichen Wissenschaftlern möchte ich nicht absprechen, dass ihnen das Schicksal tausender gelähmter Kinder nahegeht. Die Figuren sind hier doch recht stereotyp geraten. Die fiktive Liebesgeschichte zwischen Dorothy Horstmann und Arne Holm sowie das angebliche "Knistern" zwischen Horstmann und Sabin nehmen für mich zu viel Raum ein, und auch der Schreibstil driftet hier zuweilen ins Kitschige ab ("Ihr Herz, dieser blumengleiche Muskel, begann, seine Blütenblätter zusammenzufalten.").

Wie Lynn Cullen im Nachwort betont, handelt es sich bei diesem Buch um einen Roman und keine Biographie. Die Eckdaten aus Dorothy Horstmanns Leben und dem ihrer Kolleg*innen dienen als Grundlage für eine fiktive Geschichte, bei der sich die Autorin einige Freiheiten nimmt und viel Gewicht auf emotionale Zuschreibungen und eine Lovestory legt.
FAZIT:
Insgesamt ein unterhaltsamer und interessanter Roman über die in Deutschland weitgehend unbekannte, aber an der Erforschung des Polio-Virus entscheidend beteiligte Dorothy Horstmann. Leider geht die Autorin nur sehr vage auf die wissenschaftliche Arbeit ein und legt den Focus mehr auf Emotionen und eine fiktive Liebesgeschichte.