Rezension

Köstliche Anekdoten, direkt aus dem Leben gegriffen

»Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten« und »Einladung zum Klassentreffen« - Martin Schörle

»Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten« und »Einladung zum Klassentreffen«
von Martin Schörle

Bewertet mit 4.5 Sternen

Mit "Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten" und "Einladung zum Klassentreffen" hat Martin Schörle zwei von ihm geschriebene Theaterstücke in einem kleinen, feinen Buch herausgebracht.
Ersteres ist ein Ein-Mann-Stück über den, in der Gedankenwelt des sogenannten kleinen Mannes immer noch vorhandenen, typischen Beamten. Dessen Leben und Wirken ausschließlich nach Aktenlage bestimmt wird. Nicht passende Regelwerke werden zu solchen gemacht beziehungsweise schlägt unser Hans Fredenbek, so heißt der arme Mensch, seinen Vorgesetzten und anderen Behörden vor. Er kann nicht anders, selbst im Privaten spricht er das typische Beamtendeutsch, das keiner außer ihm versteht, schon gar nicht seine Frau. Die ist im Übrigen nicht mehr willens und präsentiert ihm am Ende eines langen Ehelebens in seiner nur nach ihm verständlichen Sprache die Kündigung des Ehevertrages.
Man weiß nicht, ob man lachen oder weinen soll, ich zumindest konnte mich nicht mehr zusammenreißen, als die Sprache über seine Radiergummiemanie, oder besser gesagt: auf das Radiergummi als sexuellem Fetisch kam. Oder die herrliche Abkürzung VBB, Vollkommene Beamtenbefriedigung, die bei Fredenbek nur zustande kommt, wenn alle Berechnungen, die er aufgrund seiner Position und Arbeit, stimmig sind. Dass er das natürlich auch in seiner Freizeit, sprich Urlaub, vermisst und daher den Urlaubsort aufmischt, um zumindest ein wenig Befriedigung zu erlangen, wer mag sich da noch wundern.
Aufstoßen werden sich bei der Leserschaft die ein oder andere Person über die zeitlich nicht mehr politisch korrekten Passagen, die nun nicht mehr so ohne weiteres Geduldet werden. Wie zum Beispiel der ältere Herr, der sich gerne junge Frauen in seiner Phantasie vorstellen mag, oder die völlig verhunzte Anmache bei einer Mitarbeiterin. Ich konnte da nur herzlich lachen.
Die sprachliche Dramaturgie, das Überspitzen der Situationen, bei denen der Beamte Fredenbek nur verlieren kann, über seine Rituale und andere merkwürdige Verhaltensweisen habe ich mich jedenfalls gut unterhalten gefühlt.
Das alles wird noch unterstrichen mit begleitender Musik, die im Text beschrieben wird und auf der Bühne zu hören ist. Genauso wie der unerhörte Telefonterror, dem er nicht nachzugeben versucht und dabei scheitert, sowie andere Elemente, wie zum Beispiel ein alter Kassettenrekorder, Lichtspiele und mehr. Und am Ende stolpert unser Beamter auch an der von ihm selbst kreierten Abkürzung SHz. Die Auflösung findet sich im Buch.
Das zweite Stück ist ein wunderbares Beziehungsdings, das irgendwie wieder zum Laufen gebracht werden will. Der Liebesgott versucht hier zum zweiten Mal ein Pärchen zusammenzubringen, das kurzzeitig bereits in der Schulzeit als solches erprobt wurde. Ein geteiltes Bühnenbild zeigt "sie" im Zugabteil und "ihn" vor ihrer Wohnung. Ein Telefonanruf, das von Mitreisenden mitgehört wird, die wissen wollen, wie das Ganze ausgeht. "Er" ruft "sie" an, um zum Klassentreffen einzuladen. Beide haben mit Erinnerungen zu kämpfen, teils freudig, teils traurig, Rückblenden zeigen Punkte in der Vergangenheit. Hierbei spielt vor allem der Ex-Mann von "ihr" eine bedeutende Rolle im Stück. Drehungen und Wendungen bringen Schwung in das Stück. Ein gelungenes Beispiel zum Thema telefonieren in der Öffentlichkeit.