Rezension

Kriminelles Kammerspiel

Geheimer Ort - Tana French

Geheimer Ort
von Tana French

Bewertet mit 4 Sternen

Ein Internatsschüler wurde ermordet. Nicht vor kurzem, sondern vor einem Jahr. Noch immer ist nicht bekannt, wer der Mörder des Jungen ist. Inzwischen verläuft das Leben an der Mädchenschule St. Kilda und der benachbarten Jungenschule St. Colms wieder in normalen Bahnen. Bis ein Zettel auftaucht mit einem Foto des ermordeten Schülers und der Zeile „Ich weiß, wer ihn getötet hat.“

Das Entscheidende in diesem Krimi ist nicht die Handlung, sondern sind die Beweggründe der Figuren. Erzählt auf zwei Zeitebenen, spielen sich die Hauptgeschehnisse an einem einzigen Tag ab. In Rückblenden wird parallel dazu die Geschichte erzählt, die zum Mord an dem Jungen geführt hat. Da nur wenige Mädchen für das Anpinnen des Zettels infrage kommen, konzentrieren sich die Ermittlungen der Kommissare auf zwei verfeindete Mädchencliquen. Das Buch arbeitet die komplexen Emotionen der heranwachsenden Mädchen detailliert aus – bis der Leser den Überblick verliert, wer was warum getan haben könnte… Das macht auch den Sog des Romans aus. Die Beziehungen werden mehrdimensional dargestellt und verstricken sich an so mancher Stelle. Wer sagt was? Wie nimmt die andere es auf? Was interpretiert sie hinein? Und was schließen diejenigen daraus, die die Szene nur von weitem beobachtet haben?

Über weite Strecken fand ich das Buch faszinierend, wenn auch teilweise etwas verwirrend. Es ist mal ein anderer Krimi, der viel Wert auf die Darstellung der Ermittlungsarbeit legt und keine atemlose Hatz von Schauplatz zu Schauplatz ist. Ganz im Gegenteil – die gesamten 700 Seiten spielen sich ausschließlich an dem Internat und in seiner fußläufigen Umgebung ab. Dass das durchaus spannend sein kann, beweist Tana French in diesem Buch.

Allerdings kamen mir auch einige Dinge befremdlich vor. So haben beispielsweise alle Mädchen der einen Clique eine Art „übersinnliche Fähigkeit“. Eine große Rolle spielt das im Buch nicht und es wird auch nicht am Ende schlüssig aufgelöst. So steht die Parapsychologie als gegeben im Raum. Passt irgendwie nicht und war aus meiner Sicht absolut überflüssig. Was mir die Autorin damit sagen wollte, war mir schleierhaft.

Und das Ende war zwar schlüssig, aber auch nicht wirklich überraschend. Wer aufmerksam liest, hat die betreffende Person spätestens nach der Hälfte des Buches in Verdacht. Eine unerwartete Wendung auf den letzten Seiten? Fehlanzeige. Das hat mich enttäuscht und bewogen, statt der Höchstpunktzahl nur vier Sterne zu vergeben. Lesenswert finde ich diesen Krimi aber trotzdem, und empfehle ihn all jenen weiter, die akribische Ermittlungsarbeit und die Psychologie hinter einem Verbrechen einer actiongeladenen Geschichte vorziehen.