Rezension

Literatur en miniature - messerscharfe Sätze!

Die Illusion des Getrenntseins - Simon Van Booy

Die Illusion des Getrenntseins
von Simon Van Booy

Bewertet mit 5 Sternen

Was soll ich sagen, nachdem ich ein Buch viel zu schnell gelesen habe, das man wie von einem Eisbecher löffelnd, Löffelchen für Löffelchen, langsam lesen sollte. Denn Simon van Booy setzt seine Sätze mit Bedacht. Sie sind ausgeklügeltes Fingerfood. Seine Geschichte ist Kunst, kunstvoll, aber ...

In einer einzigen seiner Formulierungen hätte der Jahresknüller der Journallie enthalten sein können, wenn er über Danni, den berühmten Regisseur Hollywoods sagt: „Einmal als es besonders stark regnete, setzte sich ein Kellner zu ihm“. Alles ist gesagt. In einer einzigen Formulierung wäre auch die Strategie eines Heers von Anwälten enthalten, die Mr. Hugo zu seiner Verteidigung hätte anheuern können: „Er versteckte sich in dem Pronomen „wir“.

Amelia, John Bray, Danni, Martin, Mr. Hugo und Sébastien, aufgezählt in alphabetischer Reihenfolge, sind vordergründig die Träger der Story van Booys, die sich von 1939 bis 2010 spannt, und dessen Zentrum einige Szenen sind, die sich 1944 im Zweiten Weltkrieg abspielten, Szenen, die Speerspitzen in die Gegenwart sind. Handlungsorte befinden sich in Europa, vorwiegend in Frankreich, gefolgt von England, Deutschland, Schottland; und den Vereingten Staaten.

Und das alles steckt in einem schmalen Buch von knapp über 200 Seiten. So ist es kein Wunder, dass der Autor viel Schicksal in wenigen Sätzen zu verstauen und zentrieren weiß. Er schreibt Literatur en miniature. Er schreibt Schicksal auf die Schale eines Eis. Und er schreibt den Kreis des Lebens ab, ein Kreis, der sich in seinem Roman beinahe schließt. Man kann den Autor zu der Entscheidung, diesen Kreis einen Spalt offen zu lassen, nur beglückwünschen, denn so schmal der Grat zwischen Leben und Tod in seinem Buch ist, so schmal ist in der Literatur der Grat zwischen Kitsch und Kunst. Ja doch, der Autor hat die Kurve gekriegt: Kunst! Aber... es war haarscharf! Denn die Figur des amerikanischen Heimkehrers zum Beispiel weist stereotype Züge auf und da und dort ist die Fabulierkunst ein winziges bisschen too much für meinen Geschmack, aber wiederum nicht too much genug, um wirklich auf Kosten der Qualität zu gehen.

Mit seinen messerscharfen Sätzen fängt der Autor mich letztlich ein und mit Mr. Hugo, einem Unschuldigen oder Schuldigen, wer will darüber urteilen, hat er zudem eine Figur geschaffen, die originell und verwundbar zugleich, unter die Haut geht.

Fazit: Lesenswert!