Rezension

Modernes Märchen mit philosophischem Tiefgang

Sommer bei Gesomina - Florian Beckerhoff

Sommer bei Gesomina
von Florian Beckerhoff

Bewertet mit 4 Sternen

REZENSION - „Florian Beckerhoff ist ein wunderbar leiser, besinnlicher und poetischer Roman gelungen, der sich trotz seines philosophischen Tiefgangs leicht lesen lässt.“ Dies schrieb ich schon 2017 über den vorigen Roman „Herrn Haiduks Laden der Wünsche“ des in Berlin lebenden 43-jährigen Schriftstellers. Dasselbe gilt auch für sein kürzlich wieder bei Harper Collins veröffentlichtes Buch „Sommer bei Gesomina“. Wie damals lässt sich auch bei Beckerhoffs neuem Roman die Kernaussage in einem Satz zusammenfassen: Das wahre Glück im Leben findet man nur in den kleinen Dingen und Begebenheiten des Alltäglichen.

Denn wieder spielt sich alles in nur einer Straße eines Berliner Altstadtviertels ab, dessen kleinbürgerlichen Bewohner abseits des großstädtischen Trubels in ihrem von der Welt anscheinend vergessenen Mikrokosmos ihr klägliches Dasein fristen – bis plötzlich der zwölfjährige Jona auftaucht, um seine Sommerferien bei Gesomina Massati zu verleben, die ihn einst jahrelang als Kleinkind betreut hatte. Jona, der Sohn aus großbürgerlichem Elternhaus – der Vater ist als Unternehmensberater weltweit im Einsatz, die Mutter strebt als Autorin nach Anerkennung – hatte sich enttäuscht geweigert, in den Sommerferien seine Mutter „als lästiges Anhängsel“ nach Hollywood zu begleiten, nachdem nun keine Zeit für den eigentlich geplanten Ferienclub-Urlaub war. Stattdessen vertraut die Mutter den Zwölfjährigen seiner früheren Kinderfrau Gesomina an, der kleinen resoluten Frau aus Mogadischu, die seit 40 Jahren allein in einem Altberliner Hinterhof in der Dachgeschosswohnung eines heruntergekommenen Mietshauses lebt.

Fast scheint es, als lebe auch Florian Beckerhoff inmitten dieses Berliner Kiezviertels und habe sich von seinen Mitbewohnern inspirieren lassen, so authentisch, humorvoll und zugleich liebevoll beschreibt er seine so unterschiedlichen Charaktere, die man als Leser einfach mögen muss: Da gibt es den Grafiker Milan als Betreiber einer meistens geschlossenen Bar, die einsame Weinhändlerin, den Übersetzer, der sich dem Vermieter gegenüber als Maler ausgibt, den türkischstämmigen Friseur Ergün oder den vietnamesischen Supermarkt-Inhaber Dong und Tom Spencer, den Stiefelverkäufer aus Tasmanien. Alle versuchen sich in dieser Straße irgendwie über Wasser zu halten, fühlen sich von der Welt unverstanden, leben einsam vor sich hin, haben kaum Kontakt untereinander.

Erst der zwölfjährige Jona bringt durch seine kindliche Unbeschwertheit und Lebensneugier neue Bewegung in aller Dasein. Er entdeckt hier, fern seiner häuslichen Einsamkeit, das wahre Leben, lernt hier die unterschiedlichsten Menschen und ihre Schicksale kennen. Seine Neugier und sein Mitgefühl führen die Bewohner der Straße zusammen und erwecken ihre Lebensgeister aufs Neue. Der Übersetzer versucht sich jetzt tatsächlich als Maler, der Bar-Betreiber öffnet ganztägig und baut die Bar zum Bistro um, Tom Spencer kümmert sich nach vielen Jahren um seine alte Mutter im fernen Tasmanien, die Weinhändlerin versucht sich ohne jede Ahnung von Büchern als Betreiberin eines Antiquariats. „Es geht darum, es zu tun“, hatte auch Tom Spencer durch Jonas frische Aktivität erkannt: „Angebote machen, Möglichkeiten schaffen.“ Denn es war Jona, der sich voller Eifer auf die Suche nach Gesominas vor 50 Jahren verlorenen Sohn macht und sich auch durch Rückschläge von seinem Ziel nicht abbringen lässt.

„Sommer bei Gesomina“ ist tatsächlich wie sein Vorgänger „Herrn Haiduks Laden der Wünsche“ wieder ein wunderbar leiser, besinnlicher und poetischer Roman. Die verschiedenen Figuren mögen fiktiv sein, sie könnten aber ebenso wirklich im Berliner Kiez gleich um die Ecke leben. Es sind die kleinen Helden des Alltags, die ihr teilweise beschwerliches Schicksal zu meistern versuchen. „Sommer bei Gesomina“ ist einerseits ein „Wohlfühlroman“ und liest sich wie ein modernes Großstadtmärchen, ist andererseits aber ein „Mutmacher“, vielleicht selbst noch einmal durchzustarten – voller Neugier auf bisher unerkannte Chancen, die das Leben einem bieten mag. Man fühlt sich von Florian Beckerhoff dabei an die Hand genommen, wie es auch Gesomina mit dem kleinen Jona auf dem Cover-Bild macht.