Rezension

Nachtspaziergang und Erinnerungsströme

Blütenschatten -

Blütenschatten
von Annalena McAfee

Bewertet mit 4 Sternen

Der Roman beginnt mit einem Bruch. Der Bruch Eves mit ihrem alten Leben. Sie sieht ihren Mann mit seiner neuen Partnerin in ihrem alten Haus sitzen. Es ist Nacht, Winter. Eve verlässt die Szene und macht sich auf den Weg zu ihrem Atelier. Auf diesem nächtlichen Spaziergang wird sie in Vergangenem schwelgen, wird sich der prägenden Ereignisse ihres Lebens und insbesondere der vergangenen Monate erinnern. Monate, die in einem letzten, alles überragenden Gemälde enden…

Eve ist als Protagonistin und als bewusstseinsgebende Instanz dieser Geschichte eine schwierige Figur. Sie steht in einem ständigen Spannungsverhältnis zu ihrer Umwelt, wird von Gefühlen der Einsamkeit geplagt, will sich von ihrem alten Leben losreißen, verliert sich völlig in der Beziehung zu ihrem jungen Liebhaber und sieht die Welt wie durch einen Filter, dessen Grenzen ihre überbordenden Gefühle sind. 

Was dem Roman Charakter und Tiefe verleiht, ist jedoch nicht nur die Geschichte seiner Protagonistin, sondern die Kritik an der Kunstwelt, die leitmotivisch ist. Frauen, das macht der Roman deutlich, haben es in der Welt der Kunst besonders schwer, denn Erfolg und Anerkennung sind männlichen Künstlern vorbehalten. Künstlerinnen können Musen sein, dürfen höchstens Dekoratives malen oder müssen sich, wie Wanda, Eves ehemalige Freundin, in extremen Formen der Selbstdarstellung verlieren. Wandas Performance-Kunst steht im totalen Gegensatz zu Eves naturgetreuen und auf Nachahmung beruhenden Pflanzenbildern. Wanda versteht es, die Erwartungen des Kunstmarkts zu befriedigen, während hinter Eves Kunst Absicht, Leidenschaft und Überzeugung stehen. Ihr neues Projekt, Poison Florilegium, soll “ein Akt der Wiedergutmachung für all die unsichtbaren Frauen in der Botanik und der Kunst sein”. Trotzdem wird ihre Kunst von Kritikern als “höchstens geeignet für Kinderbücher, Kurzwaren und die Geschenkpapierindustrie” abgetan. 

McAfee schreibt gekonnt. Die zahlreichen Bezüge zu Gemälden geben der Erzählung etwas Malerisches. Sie lassen manche Szenen herausstechen, brechen wie große Bilder hervor, während andere - insbesondere Eves Spaziergang - wie Skizzen dahinfließen. Die Atmosphäre des Romans ist dicht, greifbar und führt besonders im letzten Teil dazu, dass die Geschichte einen Sog entwickelt, der den Leser mit sich reißt.