Rezension

Neue aufregende Ereignisse um die Hafenärztin im Hamburg der Kaiserzeit

Die Hafenärztin. Ein Leben für das Lachen der Kinder -

Die Hafenärztin. Ein Leben für das Lachen der Kinder
von Henrike Engel

Bewertet mit 5 Sternen

Nach den schrecklichen Ereignissen im November 1910 ist das Leben für die Ärztin Anne Fitzpatrick, die Pastorentochter Helene Curtius und den Kriminalkommissar Berthold Rheydt in Hamburg weiter gegangen. Im März des Jahres 1911 steht Helene kurz vor dem Abschluss im Lehrerinnenseminar und macht ein Praktikum in den Auswandererhallen von Albert Ballin auf der Veddel, wo auch Anne neben ihrer eigenen Praxis als Urlaubsvertretung arbeitet. Als das erste Kind stirbt, denkt man sich noch nichts Schlimmes - das passiert eben. Als das zweite stirbt, glaubt man an eine Choleraepidemie, doch Anne kennt die Symptome, diese sind anders. Alles deutet auf eine Vergiftung hin. Sie beginnt eigene Forschungen anzustellen. Gleichzeitig wird Berthold ins Verbrecherviertel gerufen: Ein jüdischer Krimineller wurde ermordet, neben ihm ein Giftkoffer. Außerdem verschwindet ein jüdisches Auswanderermädchen und eine Gruppe junger Frauen macht mit Überfällen von sich reden. Hängt dies alles zusammen, und können die drei, ähnlich wie im November, ihre Kräfte vereinen und gemeinsam dieses Wirrwarr lösen?

Packend geschriebene, spannende Fortsetzung des ersten Bandes um die Hafenärztin Anne Fitzpatrick, die mit Helene und Berthold zwei ebenbürtige, starke Charaktere an ihrer Seite hat. In bewährter Manier verknüpft die Autorin sehr gekonnt verschiedene Handlungsstränge, die erst einmal nichts miteinander zu tun zu haben scheinen, und erzählt aus den Perspektiven der drei Hauptprotagonisten Anne, Helene und Berthold eine stringente und homogene Geschichte. Dabei bleibt sie ihrem Stil treu und verwebt einen Kriminalfall im “Milieu" und den damit einher gehenden Ermittlungen der Kriminalpolizei mit den Erlebnissen der aufstrebenden Bürgerstochter Helene und der für Frauenrechte kämpfenden Ärztin Anne und zeigt dabei durchaus auch gesellschaftskritische Ansätze, indem sie etwa den menschenverachtenden Umgang mit den Auswanderern oder den bereits zutage tretenden Antisemitismus aufzeigt. Wie im ersten Band verlaufen die Ereignisse zunächst parallel und werden aus den drei verschiedene Sichtweisen erzählt, ohne jedoch inhaltlich etwas zu wiederholen. Der Leser erhält so Einblicke in das Familienleben Helenes und das Seelenleben und die Gedankenwelt aller drei Hauptfiguren. Nach und nach verbinden sich dann die Erzählstränge miteinander, in dem Maße wie die Protagonisten miteinader interagieren und sich über ihre Erkenntnisse austauschen. Im Vordergrund steht hierbei nicht nur ein Aspekt, etwa die Ermittlungsarbeit oder nur gesellschaftliche Belange, vielmehr ergibt sich aus allen Aspekten ein großes Ganzes. Die Fälle selbst nehmen jedoch gehörig Fahrt auf und sind komplexer als zunächst angenommen.

Mir gefallen nach wie vor alle drei Protagonisten ganz hervorragend, wie schon im ersten Band lebte ich sofort mit allen dreien intensiv mit. Mich begeisterten Helenes Energie und Empathie ebenso sehr wie Bertholds Hartnäckigkeit und Verletzlichkeit und Annes ärztliches Können. Obwohl sie aus drei unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten kommen und diese auch verkörpern, bündeln sie ihre Kräfte für den Kampf um Gerechtigkeit, so dass die Klassenunterschiede nach und nach verschwimmen. Ein jeder hat sein Päckchen zu tragen, selbst die unverbrauchte Helene, und als vielschichtige und intelligente Persönlichkeiten, die sie alle sind, reflektieren sie permanent ihr Tun und hinterfragen die bestehende Ordnung. Alle hängen in ihren Metiers neuen Methoden und Denkweisen an und brechen aus starren Strukturen aus. Schön fand ich außerdem, dass auch die Polizeitruppe um Rheydt zueinander findet und deren Geschichte ebenfalls weiter erzählt wird. Auch wenn die Nebenfiguren neben den drei Hauptpersonen mitunter ein wenig verblassen, sind sie doch gut charakterisiert und sie tragen maßgeblich zum Handlungsfortschritt bei. Der Mordfall, das verschwundene Mädchen, die geheimnvolle Frauentruppe - all das ist in sich spannend und ich fand es sehr schlüssig und gekonnt, wie die Autorin alles zu einem großen Ganzen verknüpft.

Fazit: Sehr gut gelungene Fortsetzung der Hafenärztin Anne und ihre Mitstreiter Helene und Berthold, die sich wieder ausgesprochen flüssig und eingängig lesen lässt und sofort fesselt. Meines Erachtens lässt sich zwar Band 2 auch ohne Kenntnis von Band 1 lesen, es werden durchaus knappe Rückblenden gegeben, aber erstens ist es schade um die schöne Geschichte, die man verpassen würde, und zweitens trifft man als geneigter Leser lieb gewonnene Figuren wieder, deren Leben weitergeführt wird, und man versteht die Hintergründe der Figuren sehr viel besser. Die Autorin hat eine schönen, gut zu lesenden Schreibstil, besticht durch authentische Beschreibungen des historischen Hamburgs und der gesellschaftlichen Gegebenheiten und haucht ihren Figuren viel Leben ein. Der Kriminalfall ist zur Zufriedenheit gelöst, die Geschichte um Anne, Helene und Berthold jedoch geht weiter!