Rezension

Neue Geschichten aus Westeros

Der Heckenritter von Westeros - George R. R. Martin

Der Heckenritter von Westeros
von George R. R. Martin

Bewertet mit 4.5 Sternen

Ein Heckenritter besitzt keine Burg; er schläft unter Hecken und verdingt sich bei großen Lords, um sein Brot zu verdienen. Als der alte Heckenritter Ser Arlan stirbt, übernimmt sein Knappe Dunk sein Pferd, die Rüstung und die Waffen und macht sich auf zu einem Turnier. Unterwegs schließt sich ihm der schmächtige Junge Ei als Knappe an. Beim Turnier halten sich mehrere Edle aus dem königlichen Haus Targaryen auf. Prinz Aerion ist ein kühner Kämpfer, doch er kämpft nicht fair, und nach dem Kampf drangsaliert er eine arme Puppenspielerin. Dunk greift ein - doch die Hand an ein Mitglied des Königshauses zu legen bedeutet Hochverrat...

Diese Kurzgeschichte thematisiert das Wesen des Rittertums. Wer darf sich Ritter nennen - jemand von hoher Geburt? Das ist Dunk nicht; er ist als Waisenkind auf der Straße aufgewachsen und vermutlich ein Bastard. Jemand, der die ritterlichen Kampfkünste beherrscht? Damit ist es bei Dunk nicht allzu gut bestellt; in den folgenden Geschichten zeigt sich, dass er z. B. beim Lanzenstechen im Tjost nicht gerade rühmlich abschneidet. Seine Kämpfe gewinnt er durch seine ungewöhnliche Größe und Stärke und mit Hilfe der Tricks, die er als Gassenjunge gelernt hat. Jemand, der die anderen Ritterkünste beherrscht? Hier ist Dunk noch schlechter; er kann nicht gut mit Worten umgehen, auch singen kann er nicht und nicht einmal lesen. Oder jemand, der seinem Rittereid gemäß die Schwachen beschützt?

Nicht alles ist so, wie es scheint - das gilt nicht nur für Dunk oder "Ser Duncan der Große", wie er sich nennt. Ei mit seiner ungewöhnlichen Augenfarbe heißt eigentlich Aegon und ist ein Prinz aus dem Hause Targaryen. Wer die Saga "Das Lied von Eis und Feuer" kennt, wird ihn wiedererkennen: Als König Aegon V trug er den Beinamen "Der Unwahrscheinliche", denn wer hätte gedacht, dass der vierte Sohn eines vierten Sohnes je den Thron besteigen würde? Für Fans der Saga bietet dieser Band viele Anknüpfungspunkte und Details, deren Entdeckung Freude bereitet. Aber auch wer die Serie nicht kennt, kann diesen Band lesen. Er besteht aus drei kurzen Geschichten, Episoden im Leben von Dunk, dem Heckenritter: Die erste, "Der Heckenritter", könnte auch den Titel des Buches tragen, "Das Urteil der Sieben", denn durch ein Gottes- bzw. Götterurteil muss der Konflikt entschieden werden. Die zweite, "Das verschworene Schwert", zeigt Dunk mit seinem Knappen Ei im Dienst eines verarmten Ritters, der nur noch drei Dörfer und einen Wohnturm besitzt. In der dritten Geschichte, "Der geheimnisvolle Ritter", wird wieder ein Turnier beschrieben, das diesmal anlässlich einer Hochzeit stattfindet, doch einige der teilnehmenden Ritter streben noch nach anderen Zielen als nach einem Sieg.

Wie "Das Lied von Eis und Feuer" spielen die Geschichten in Westeros. Die Zusammenhänge sind jedoch schon aufgrund der Kürze der Texte nicht so komplex. Im großen Epos werden die Kapitel aus wechselnder Sichtweise beschrieben; so zeigt sich deutlich, dass es nicht einfach "gut" und "böse" gibt, sondern dass jeder Mensch unterschiedliche Charaktereigenschaften hat und dass seine aus fremder Sicht oft so unverständlichen Handlungen aus der eigenen Sicht glaubwürdig und überzeugend motiviert sind. Der Heckenritter bietet demgegenüber eine einfachere Sicht, doch die Charaktere sind nicht einfach Klischees. Daher ist das Buch für Fans von "Eis und Feuer" bzw. "Game of Thrones" ein Muss - und für andere ein Gewinn.