Rezension

Originelle Idee, aber die Umsetzung überzeugt nicht!

P.S. Morgen bist du tot -

P.S. Morgen bist du tot
von Vera Kurian

~ „P. S. Morgen bist du tot“ ist ein Thriller mit einer richtig coolen Grundidee, der sein Potential aber leider nicht nutzen kann (Spannungseinbrüche, oberflächlich, enttäuschender Schreibstil)! Aus dieser Geschichte hätte man so viel mehr machen können! Deswegen bin ich insgesamt etwas enttäuscht und spreche (auch wegen der teilweise sehr sexistischen Aussagen der Protagonistin) keine Leseempfehlung aus. Es gibt dort draußen bessere und vor allem feministischere Thriller – lest lieber die! ~

Inhalt

Psychopathin Chloe hat sich nur aus einem einzigen Grund die John-Adams-Universität für ihr Studium ausgesucht: Sie hat mit einem anderen Studenten noch eine Rechnung offen. Mit 13 Jahren wurde sie von ihm vergewaltigt, nun soll er dafür bezahlen und durch ihre Hand sterben. Praktisch, dass Chloe bei einer Psychopathie-Studie teilnehmen darf und so ein Stipendium ergattern konnte. Chloes Plan gerät jedoch ins Wanken, als plötzlich die anderen Studienteilnehmer:innen nach und nach ermordet werden. Plötzlich schwebt Chloe selbst in Gefahr und weiß: Sie darf den anderen Psychopath:innen aus dem Programm auf gar keinen Fall vertrauen…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Figurale Erzählweise, Ich-Erzählerin, Präteritum
Perspektive: hauptsächlich weibliche Perspektive, zwischendurch auch männliche
Kapitellänge: meist kurz

Inhaltswarnung: Alkohol, Tod von Menschen, Gewalt, Gewalt gegen Frauen, sexualisierte Gewalt, häusliche Gewalt
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: F+tze, Schl+mpe (viele Male), H+re, Bitch, Luder

Diese Geschichte solltest du lesen, wenn dir folgende Themen/Dinge in Büchern gut gefallen (dieser Abschnitt ist inspiriert von @sassthxtic auf Lovelybooks):

- Uni-Leben
- Serienkiller:innen
- Dexter-Vibes
- moralisch graue Hauptfigur
- detaillierte Beschreibungen von Gewalt
- Rachemotiv
- Jeder-misstraut-jedem-Thriller
- Thematisierung von sexualisierter Gewalt

 

Meine Rezension

 „Will Bachmann trinkt zu viel und hängt mit Leuten rum, die nicht auf ihn aufpassen. Will Bachmann hat einige Fehler gemacht. Will Bachmann hat noch 60 Tage zu leben.“ E-Book, Position 234

Das Debüt von Vera Kurian wollte ich vor allem deshalb lesen, weil ich die Idee frisch und originell fand und außerdem mehr über das spannende Thema „Psychopathie“ erfahren wollte. Hätte ich die Rezensionen im Vorhinein gelesen, hätte ich gewusst, dass die Leser:innen-Meinungen durchwachsen sind, und hätte ich in die Zukunft schauen können, hätte ich gewusst, dass sich meine mittelmäßige Bewertung dort perfekt einreihen wird.

Doch zuerst zu den Stärken des Buches. Auf ganzer Linie überzeugen konnten mich die spannende Prämisse (wie gesagt) und die Art, wie sich der Plot entwickelt. Da gab es doch die eine oder andere unerwartete Wendung, die mich eiskalt erwischt hat. Die Geschichte hatte eindeutig Dexter-Vibes, weil einen die manipulative, eiskalte, moralisch dunkelgraue Protagonistin mit ihren Racheplänen sofort für sich einnimmt. Denn auch wenn man wie ich im echten Leben ganz klar gegen Selbstjustiz ist, versteht man Chloes Motive und denkt beim Lesen (tut ja niemandem weh): Dieser Vergewaltiger Will hat es doch irgendwie verdient!

„Ich habe noch nie jemanden wie mich kennengelernt. Doch wenn es irgendwann passiert, denke ich, dass es wie die Begegnung zweier Wölfe in der Nacht sein wird, die sich beschnüffeln und den anderen als Jagdgefährten erkennen.“ E-Book, Position 113

Auch die Einblicke in die Innenwelt und Gedanken der Psychopath:innen (es gibt mehrere Perspektiven) fand ich äußerst spannend und interessant – da wird schnell mal ein bei einem Autounfall verbrannter Junge als „knusprig gebratener kleiner Sche+ßer“ beschrieben. Derart empathielose, pietätlose Formulierungen muss man mögen oder zumindest aushalten können, wenn man mit diesem Buch seinen Spaß haben will. Sehr gut gefallen hat mir auch das gegenseitige Misstrauen, das sich die Studienteilnehmer:innen entgegenbringen, weil man ja nie wissen kann, wie gefährlich die andere Person ist. So etwas liebe ich ja in Büchern! Eine kleine Liebesgeschichte wurde auch eingebaut, die fand ich eigentlich ganz nett – mehr aber auch nicht.

Leider gab es aber auch ein paar Aspekte, die mich enttäuscht haben. Das begann schon mit dem sehr einfachen, nichtssagenden, sich wiederholenden Schreibstil – der wohl auch schuld daran ist, dass das Buch trotz guter Themenwahl (Leben als Psychopath:in, Trauma, Rache, Freundschaft) leider bis zum Ende sehr oberflächlich bleibt. Außerdem gab es (liegt wohl an der Übersetzung) immer wieder Fehler bei der Zeitenfolge, die mich ziemlich gestört haben. Und auch wenn das Buch stellenweise wirklich atmosphärisch dicht und sehr spannend ist (vor allem im ersten Drittel, auch durch den Countdown bis zum geplanten Mord), gibt es im Mittelteil einige lange Durststrecken, in denen der Spannungsbogen einbricht und in denen die Handlung nicht von der Stelle kommt. Aus diesem Grund habe ich das Buch auch immer wieder weggelegt und sehr lange für die Lektüre gebraucht – weil es mich einfach nicht gefesselt hat. Aus der grandiosen Grundidee hätte man so viel mehr machen können! Hier wurde sehr viel Potential verschenkt. Das Verhalten der Hauptfigur und den Schluss fand ich zudem teils unglaubwürdig.

Etwas ratlos lässt mich die feministische Analyse zurück: Auf scharfsinnige, kritische Kommentare darüber, wie (schlecht) Frauen in unserer Gesellschaft behandelt werden, folgen immer wieder extrem unreflektierte sexistische, Frauen objektifizierende und toxische Bemerkungen und extrem viele gegenderte Beleidigungen (Schl+mpe, F+tze, B+tch, H+re). Meine Vermutung ist, dass die feministischen Stellen bewusst eingebaut wurden, der Autorin ihre verinnerlichte Misogynie aber eben NICHT bewusst war, wodurch sie immer dann durchkommt, wenn sie sich nicht darauf konzentriert hat. Hier hoffe ich natürlich, dass Vera Kurian bis zu ihrem nächsten Buch dazulernt – es wäre dringend nötig!

 

Mein Fazit

„P. S. Morgen bist du tot“ ist ein Thriller mit einer richtig coolen Grundidee, der sein Potential aber leider nicht nutzen kann (Spannungseinbrüche, oberflächlich, enttäuschender Schreibstil)! Aus dieser Geschichte hätte man so viel mehr machen können! Deswegen bin ich insgesamt etwas enttäuscht und spreche (auch wegen der teilweise sehr sexistischen Aussagen der Protagonistin) keine Leseempfehlung aus. Es gibt dort draußen bessere und vor allem feministischere Thriller – lest lieber die!

Bewertung

Cover / Aufmachung: 3 Sterne
Idee: 5 Sterne ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 2,5 Sterne
Umsetzung: 3 Sterne
Worldbuilding: 4 Sterne
Einstieg: 4 Sterne
Ende: 2 Sterne
Schreibstil: 2 Sterne
Protagonistin: 3 Sterne
Figuren: 3 Sterne
Spannung: 3 Sterne
Wendungen: 4 Sterne
Atmosphäre: 3 Sterne
Emotionale Involviertheit: 3 Sterne
Feministischer Blickwinkel: 2 Sterne
Einzigartigkeit: 3 Sterne

Insgesamt:

❀❀❀ Sterne

Dieses Buch bekommt von mir drei Sterne!