Rezension

Satirischer Krimi

Giftrausch -

Giftrausch
von Hendrik Esch

Bewertet mit 3.5 Sternen

„...Paul wäre vermutlich pünktlich gewesen, wenn er sich nicht im letzter Sekunde diesen verdammten Espressso über sein weißes Hemd geschüttet hätte. Ja – wenn es wenigstens nur das Hemd gewesen wäre!...“

Rechtsanwalt Paul Colossa wird auf Schloss Hirschenhaid erwartet. Im dortigen Schulinternat gilt es, die schwere Erkrankung eines Schülers zu vertuschen. Paul soll dazu eine passende Expertise schreiben, muss aber laut seines 37 Seiten starken Vertrages jeden Kontakt mit dem Schüler unterlassen. Auch an andere Personen darf er keine Fragen stellen. Im Prinzip soll er die Schule reinwaschen.
Der Autor hat einen amüsanten Krimi geschrieben.
Der Schriftstil ist ausgereift. Der Autor beherrscht das Spiel mit Worten, wie das folgende Zitat zeigt:

„...Ihre Stimme besaß die Contenance einer Nachrichtensprecherin  bei einer schweren Panne während einer Liveschaltung...“

Manche Szenen werden ausführlich und bis ins Detail dargestellt. Sarkasmus, Ironie und eine überspitzte Darstellung finden sich an vielen Stellen. Das geht allerdings ab und an auf Kosten des Spannungsbogens. Hier wäre weniger mehr gewesen.
Bis ich mit Paul warm wurde, brauchte ich eine Weile. Er verliert sich gern in Nebensächlichkeiten, scheint Pech und Pannen anzuziehen und ist eher kein kontinuierlicher Arbeiter. Wie sagt er so schön?

„...Was  du später kannst besorgen, verschieb`s doch lieber gleich auf morgen...“

Paul hat die Kanzlei von seinem Vater übernommen, der für ihn aber lange Zeit ein Onkel war. Wer Genaueres dazu wissen will, sollte das Buch lesen. Der war in der Gegend bestens vernetzt. Davon kann Paul nun zehren. Gleichzeitig hat er die Mitarbeiter übernommen, die wissen, wo es lang geht und Paul schon mal in die richtige Richtung schubsen.
Sein Freund Attila ist beinah das Gegenteil. Der weiß, was er will, setzt sich durch und lässt sich auch in schwierigen Situationen kaum aus der Ruhe bringen. Er ist für jeden Spaß zu haben, weiß aber ganz genau, wo die Grenzen liegen. Auch bei Frauen kommt er gut an.

„...Attila, der Bienenwolf, wollte kein neues Bienenvolk gründen. Er hatte es lediglich auf den Honigtopf abgesehen...“

Paul gerät ins Visier des Bloggers Babik. Der hatte schon bei der Pressekonferenz in der Schule kritische Fragen gestellt. Dort hatte sowohl die Schulleiterin, Frau Dr. Wanek, als auch der Anwalt Dr. Stahl falsch reagiert.

„...Beide waren erkennbar beunruhigt. Kein Wunder. Sie wollten Babiks kleine Kerze auslöschen – aber dazu hatten sie dummerweise Öl verwendet, und jetzt brannte der ganze verdammte Tisch. Bildlich gesprochen...“

Paul lässt den Vertrag Vertrag sein und versucht herauszufinden, was in der Schule wirklich abläuft. Dabei muss er feststellen, dass die pädagogischen Fähigkeiten des Stardirigenten Sir Evelyn Rutland mehr als grenzwertig sind. Die Schule will Musikgenies entlassen. Die anderen Fächer werden eher stiefmütterlich behandelt. Um das Ziel zu erreichen, ist jedes Mittel recht. Paul sticht in ein Wespennest und muss aufpassen, dass er dabei nicht selbst untergeht. Der Grat zwischen Lüge und Wahrheit ist extrem schmal. Glücklicherweise ist Attila im Ernstfall an seiner Seite.
Am Ende weiß ich als Leser, was in Schule und Internat gelaufen ist. Der Fall ist geklärt. Trotzdem hat das Buch ein, sagen wir, halboffenes Ende.
Insgesamt hat mir die Geschichte gut gefallen. Die vier Stelle gibt es vor allem für den gekonnten Schriftstil. Der Abzug ist der nicht durchgehenden Spannung geschuldet. Ein besonderes Zitat habe ich mir für den Schluss aufgehoben. Es klingt fast philosophisch:

„..Denk nicht so oft an das, was dir fehlt, sondern an das, was du hast...“