Rezension

Schuld schwimmt oben (aus dem Rückentext)

Das Haus in dem Gudelia stirbt -

Das Haus in dem Gudelia stirbt
von Thomas Knüwer

Bewertet mit 4.5 Sternen

Erst fiel der Strom aus, dann kam das Wasser. 2024 steht die 82jährige Gudelia im ersten Stock ihres Hauses und sieht die Fluten, die alles mit sich reißen, Bäume, Autos und die toten Schweine des Bauern. Es ist eine Flutkatastrophe und das kleine Städchen Unterlingen trifft es hart. Die Nachbarn sind geflohen, aber Gudelia hat sich nicht wegbringen lassen. Mit Grabkerzen und Taschenlampe trotzt sie den Gewalten.
Gudelia hat es sich in den Kopf gesetzt, ihr Haus nicht zu verlassen. Mit Schaudern sieht sie in der Nacht zwei Leichen an ihrem Haus vorübergleiten. Im Schein ihrer Taschenlampe erkennt sie, dass die Hände mit Kabelbindern am Rücken gebunden sind. Es ist etwas, was sie der Polizei mitteilen muss. Auch muss sie ihren Verdacht, woher die Leichen kommen könnten, mit jemandem teilen.

Aber eigentlich muss sie aufpassen, dass ihrem Haus nichts passiert. Das Haus, für das sie so schwer gekämpft hat, das Haus, das sie und ihr Mann Heinz erworben haben, als Nico gerade 4 war und das Herz der Vorbesitzerin im Sturm eroberte. Nico war schon immer ein ganz besonderes Kind. Aber Nico gibt es nicht mehr und Heinz auch nicht. Das Unglück schlug früh zu und seitdem arbeitet sich Gudelia an ihrer Schuld ab. "...wie auch wir vergeben unseren Schuldigern", das konnte Gudelia nicht.

Mit dieser ganz besonderen Mischung aus Krimi, Gesellschaftsportrait und Trauerbewältigung begleiten wir Gudelias Erinnerungen an die Vergangenheit. Mit den drei Zeitebenen befinden wir uns im Jahr 1984, als ihr Sohn Nico mit gerade mal 15 starb, im Jahr 1998, als Gudelia darum kämpft, dass das Haus auf ihren Namen umgeschrieben wird und natürlich in der Gegenwart, als die Wassermassen alles auf dem Kopf stellen.

Gudelias Kampf wird vergebens sein, das stellt schon der Epilog klar. Trotzdem eröffnet sich dem Leser eine spannende und zugleich bestürzende Geschichte um die Familie Krol, dessen Sohn Mitte der Achtziger mit seiner "Andersartigkeit" auf die Intoleranz der Dorfjugend traf, um einen Vater, dessen Alkoholkonsum alles auf tönerne Füßen stellte, um schwierige Schuldfragen, die nicht beantwortet wurden und eine Mutter und Ehefrau, die alles auf eine sehr verquere Weise selbst in die Hand nahm.

Knüwer schafft die Zeitsprünge mühelos, setzt alles in einen glaubhaften Rahmen und überzeugt mit den Bildern der Zerstörung, die Gudelia 2024 an ihre Grenzen bringt. Gudelias Handlungen nehmen Züge an, die auf der einen Seite grotesk und wahnsinnig anmuten, auf der anderen Seite aber vorausschauend und emanzipatorisch wirken. Man möchte an Gudelias Verstand zweifeln, der ihr bis ins hohe Alter so treu gedient hat. Mit so mancher Lebensweisheit und guten Spruch weiß Knüwer Gudelias Vorzüge herauszustellen und serviert uns eine sehr lesbare Lektüre voller Spannungselemente.

Erkennbare Konstrukte, leichte Übertreibungen von Gudelias Fähigkeiten, fragwürdige Zufälle, sind Kleinigkeiten, die ich diesem Buch gern verzeihe, da es mich großartig unterhalten hat.