Rezension

Selbstfindung statt verbotener Liebe

A Different Blue -

A Different Blue
von Amy Harmon

Bewertet mit 4 Sternen

„A Different Blue“ ist ein Remake von „Für immer Blue“, geschrieben von Amy Harmon und nun im LYX-Verlag neu aufgelegt. Entgegen der ähnlichen Covergestaltung gehört es nicht zu einer Reihe mit „Making Faces“ und „Infinity Plus One“, sondern jedes Buch ist ein Einzelband – eine angenehme Abwechslung im herrschenden Reihen-Wahn.

Protagonistin ist Blue Echohawk, vielleicht 19 Jahre alt, vielleicht auch nicht. Sie weiß nicht, wer ihre Eltern sind oder wo sie herkommt und gehört auch an der Schule nirgendwo dazu. Als ihr neuer Geschichtslehrer Darcy Wilson als Erster wirklich Interesse an ihr zeigt, beginnt Blue ihr Leben zu überdenken – und Gefühle für Darcy zu entwickeln.

Bezüglich des Inhalts direkt ein wichtiger Hinweis: Anders, als der Klappentext und das Marketing suggerieren, handelt es sich hier nicht um eine verbotene Liebesbeziehung zwischen einem Lehrer und seiner Schülerin. Es steht ganz klar Blues Selbstfindung, die Suche nach ihrer Vergangenheit und ihr Neuanfang im Mittelpunkt. Das Buch selbst hat auch einfach mehr verdient. Es braucht diesen dramatischen Aufhänger gar nicht. Auch wenn ich nach der Korrektur meiner Erwartungshaltung sehr zufrieden mit dem Buch war, könnte das die einen oder anderen Leser*innen enttäuschen.

Auf dem Cover gefällt mir die Mischung der Schriftarten sehr gut: groß, scharfkantig und klar das „BLUE“ und im Gegensatz dazu verspielt und einer Handschrift gleich „a different“. Die Farbgebung des Covers ist nicht nur wunderschön, sondern passt mit ihren vielen verschiedenen Blautönen auch exzellent zum Buchtitel und damit auch zur Protagonistin. Ich liebe es, wenn dieser perfekte Dreiklang aus Inhalt, Titel und Cover entsteht – ein großer Zusammenhang, nichts ist beliebig – da kriege ich direkt eine leichte Gänsehaut.

Amy Harmons Schreibstil fand ich ebenfalls gelungen. Zunächst war ich überrascht über den Prolog, der 1993 angesiedelt ist. Hier fühlte ich mich plötzlich wie in einem Krimi, was mich kurz verwunderte, aber danach direkt unglaublich gefesselt hat. Auf diesen Seiten schreibt die Autorin gradlinig und klar ohne schreckliche Dinge hinter schönen Worten zu verschleiern. Mit dem Sprung ins Jahr 2010 ändert sich dann auch der Schreibstil. Amy Harmon schreibt ausschließlich aus der Perspektive von Blue, was dazu führt, dass man sich gut in sie hineinversetzen kann. Ein Unterton von Melancholie, vor allem begleitend zu Blues Lebenssituation und ihrer Vergangenheit, schwingt immer mit, aber zwischendurch blitzt auch ein bisschen Humor durch. Blues rebellisches Verhalten gegenüber Darcy bringt mich zum Schmunzeln, auch wenn klar ist, dass es ein Verteidigungsmechanismus ist. Doch auch Blues Gedanken über ihre Mitschüler*innen lockern die düstere Stimmung etwas auf. Blue tut alles, um sich und ihre Gefühle vor der Welt zu verschließen. Lehrkräfte und Mitschülerinnen sollen ihr möglichst vom Leib bleiben. Sie baut keine Bindungen oder Freundschaften auf, sondern will mehr für sich bleiben. Ich habe großes Mitleid mit Blue. Vermutlich fällt es mir deswegen auch schwer, ihr unhöfliches Benehmen gegenüber Darcy zu rügen. Es ist unmöglich, zu vergessen, was man im Prolog erfahren hat und Blues Unwissen drückt mir als Leserin noch zusätzlich auf den Magen. Amy Harmon erzeugt auf wenigen Seiten direkt ein emotionales Minenfeld, das ich mit angehaltenem Atem durchquere und nur bei einigen kurzen Szenen Luft holen kann.

Darcy brennt für seinen Beruf und ist noch sehr jung. Er bringt noch einen unerschütterlichen Idealismus mit und will die Schüler*innen begeistern, aus einer Lethargie rütteln und wirklich etwas verändern. Die Resignation einiger älterer Lehrer*innen ist bei ihm noch weit entfernt. Dabei ist er sehr hartnäckig, was mir sympathisch war. Im weiteren Verlauf der Geschichte bleibt Darcy eher blass, was jedoch vor allem dem Fokus auf Blues Selbstfindung statt auf die Liebegeschichte geschuldet ist.

Was mich etwas gestört hat, waren die zum Teil sehr großen Zeitsprünge. Wochen und Monate vergehen in wenigen Sätzen. Manche Phasen in Blues Geschichte hätte ich mir ein wenig detailreicher gewünscht. Gejubelt habe ich allerdings über das Ende des Buches: Es ist nicht übertrieben, nicht kitschig, nicht zu perfekt – was ich häufig an anderen Romanen kritisiere. Ich bin zudem froh, dass Amy Harmon nicht mehr Drama als nötig in die Geschichte eingestreut hat.

Zusammenfassend komme ich zu 4 von 5 Sternen. „A Different Blue“ ist eine bewegende Geschichte über ein junges Mädchen, was seine Familie und sich selbst sucht. Ja, es gibt eine Liebesgeschichte, aber diese steht keinesfalls im Vordergrund. Das ist jedoch absolut kein Manko. Ich hätte mir lediglich gewünscht, dass manche Szenen in Blues Leben etwas mehr Details bekommen hätten. Dieses Buch hat erneut meinen Eindruck bestätigt, dass sich Amy Harmon ganz außergewöhnlichen Geschichten widmet. Es sind keine Plots, die man schon zigfach gelesen hat und keine Klischees. Ich freu mich schon darauf, „Making Faces“ noch von meinem SUB zu befreien.