Rezension

Sexuelle Begierde versus ungesunde Abhängigkeit

Hingabe -

Hingabe
von Bénédicte Belpois

Bewertet mit 2.5 Sternen

Der bedrückende Reiz der Körperlichkeit

„Ich hatte sie nicht lieben können, wie ich niemanden lieben konnte. Ich hatte gedacht, es wäre leicht, im Zusammenleben mit einer Frau würde die Beziehung zu ihr mühelos, ich könnte hineinwachsen, da ich es weder als Kind noch als Jugendlicher gelernt hatte. Aber ich war ein schlechter Schüler.“

Inhalt

Suiza möchte ans Meer und trampt von Frankreich nach Spanien. Mitgenommen wird sie immer, denn sie ist nicht nur wunderschön und sinnlich, sondern noch dazu etwas zurückgeblieben und dafür umso leichtere Beute für die Männer, die junge unschuldige Frauen am Straßenrand auflesen, um diese nicht nur näher an deren Zielort zu bringen, sondern auch intim mit ihnen zu werden. Doch Suiza lässt die Vergewaltigungen über sich ergehen und strandet schließlich in der spanischen Provinz, wo sie vom Betreiber einer kleinen Bar als Bedienung eingestellt wird. Und dort begegnet ihr zum ersten Mal Tómas. Er ist ein wohlhabender Bauer Anfang 40, der mehrere Ländereien besitzt und erst kürzlich von seinem Arzt erfahren hat, dass er eine schwerwiegende Lungenkrebserkrankung hat. Tómas fühlt sich von Suiza sexuell dermaßen herausgefordert, dass er sie schon bei ihrem zweiten Treffen, aus der Bar entführt und sie noch auf dem Feld vergewaltigt. Aber die junge Frau kennt diese Vorgehensweise bereits und lässt auch ihn gewähren. Was sie sucht ist ein Zuhause, Stabilität und Liebe, trotz ihrer sehr speziellen Art. Und Tómas braucht tatsächlich eine Frau, die ihm nicht nur das Bett wärmt, sondern auch auf dem Hof hilft, das Essen kocht und die Tiere versorgt. Die beiden bleiben zusammen und versuchen so etwas wie eine Beziehung zu etablieren, doch Tómas kennt sich mit Frauen nicht aus und seine Erkrankung kostet ihn viel Kraft …

Meinung

Der Debütroman der französischen Autorin Bénédicte Belpois, die zudem als Hebamme arbeitet, besitzt durchaus eine gewisse Durchschlagskraft und einen ungewöhnlichen Erzählton, der diese Geschichte begleitet und die Leserschaft polarisiert, indem er gerade die Thematik der Vergewaltigung sehr deutlich und präzise werden lässt. Mir wurde der Roman von einer Lesefreundin empfohlen, zuvor hatte ich ihn eigentlich gar nicht wahrgenommen, doch dadurch war meine Aufmerksamkeit natürlich geweckt.

Nun muss ich sagen, dass ich leider nicht so begeistert von der Geschichte bin, sie aber durchaus gerne gelesen habe. Angesprochen hat mich vor allem der Schreibstil der Autorin, die in direkter, klarer Sprache ihre Sachverhalte ausdrückt. Sie gestaltet den Text abwechslungsreich, nimmt mehrere Perspektiven auf, erzeugt einen schlüssigen Handlungsverlauf und formuliert Sätze, die ausgesprochen gut zu den von ihr entworfenen Figuren passen.

Aber genau diese Charaktere waren es, die mich stellenweise an den Rand der Verzweiflung getrieben haben. Die beiden Hauptprotagonisten sind zwei ausgesprochen archetypische Menschen, die so ziemlich jedes Klischee erfüllen: Er der brutale, endgültige, entschlossene Mann, der nie eine Frau wirklich liebte und auch sonst kaum Zuwendung erfuhr, im Kern aber ein guter Mensch sein möchte. Und Sie, ein hilfsbedürftiges, anziehendes, weiches Wesen, die zwar leicht zurückgeblieben ist, sich aber mit kindlicher Lebensfreude in jeden neuen Tag stürzt und zahlreiche bisher verborgene Talente entwickelt.

Zwischen ihnen entwickelt sich eine große Dramatik, gepaart mit normaler Alltäglichkeit und den deutlichen Schatten der Verzweiflung. So wie es der Klappentext verspricht, ist es nicht, denn angeblich soll hier aus purer sexueller Begierde eine bedingungslose Liebe wachsen. Von Liebe sind wir meines Erachtens aber meilenweit entfernt. Vielmehr ist es eine unglücklich gewählte Kombination aus der Triebgesteuertheit des Mannes und seiner schweren Krankheit. Für die weibliche Person bleibt nur eine ungesunde Rolle vieler Abhängigkeiten bestehen, die mehr und mehr verdeutlicht, wie schwer es werden würde, wenn Tómas plötzlich nicht mehr da sein sollte.

Und genau diese Radikalität, die sich durch tragische Umstände, persönliches Leid und nicht abwendbare Schicksalsschläge manifestiert, präsentiert sich hier geballt auf engstem Raum. Das größte Problem, was ich mit diesem Buch hatte waren gar nicht die sexuellen Begebenheiten, sondern der fehlende Mehrwert des Buches. Ein Kranker, der sich zunächst nur Sorgen darum macht, wie er eine fremde Frau zu seinem Besitz machen kann, ist für mich unglaubwürdig. Und die Figuren selbst, wirken zwar ins sich geschlossen bleiben mir aber emotional sehr fremd. Immer wieder hat sich mir beim Lesen die Frage aufgedrängt, was uns die Autorin sagen möchte und ich habe leider keine Antwort darauf gefunden.

Fazit

Ich vergebe 2,5 Lesesterne (aufgerundet 3) für diesen eigenwilligen Roman über eine fatale Zusammenkunft eines wilden Mannes und einer gefügigen Frau. Inhaltlich habe ich hier kaum etwas gefunden, was mir eine konkrete Aussage geliefert hat. Man kann dieses Buch gut und schnell lesen, vor allem, wenn man möglichst wenig Erwartungshaltung aufgebaut hat. Die Art und Weise der Erzählung wirkt schon reizvoll, nur der Inhalt des Gesagten zerrinnt mit jedem Satz zwischen den Fingern und verliert sich nach gut 200 Seiten gänzlich. Ich glaube, dieses Buch hinterlässt einfach zu wenige Spuren und wirft Fragen auf, deren Antworten ich nicht kennen muss. Dies ist bereits der zweite Roman in diesem Jahr, bei dem eine Erkrankung mit einer Lappalie verbunden wird. Beide Bücher („Wilde Freude“ und dieses hier) konnten mich viel zu wenig überzeugen, weil es ihnen an psychologischem Tiefgang fehlte, obwohl ich sonst sehr gern Romane über Abschiede, und menschliche Sorgen und Nöte lese, kann ich nicht nachvollziehen, warum man sie mit so lockeren Themen kombinieren muss.