Rezension

Spannender Reihenauftakt (Hörbuchrezension)

Reckless 1. Steinernes Fleisch - Cornelia Funke

Reckless 1. Steinernes Fleisch
von Cornelia Funke

Bewertet mit 5 Sternen

Der Inhalt ist schnell erzählt: Jacob flüchtet aus unserer Welt in die Welt hinter den Spiegeln. Dort findet er sein zweites Zuhause. Sein Bruder Will folgt ihm eines Tages in die Spiegelwelt. Für ihn hat es aber fatale Folgen. Schnell geht es für Will um Leben und Tod. Jacob setzt alles daran, seinen Bruder zu retten. Ob es ihm gelingt, müsst ihr selbst herausfinden. 
Besonders faszinierend fand ich den Weltenbau. Cornelia Funke orientiert sich bei der Spiegelwelt an bekannten Märchen. So reisen wir mit Jacob beispielsweise in das Schloss, in dem Dornröschen und ihre Untertanen immer noch schlafen und erlöst werden müssen. 
Ein Nebencharakter berichtet von Schneewittchen und den sieben Zwergen. Jacob, der inzwischen als Schatzjäger arbeitet, fand schon einen Knüppel aus dem Sack oder ein Tischlein Deck dich. 
Immer wieder baut Cornelia Funke eigene Elemente in die Spiegelwelt ein, wie beispielsweise die Goyl, die als Wesen aus Stein vorgestellt werden. Diese Mischung aus bereits bekannten Figuren sowie Merkmalen und neu hinzugekommenen Elementen ist Cornelia Funke hier sehr gut gelungen. 
Ungewöhnlich an Reckless ist aber, dass wir die Spiegelwelt nicht gemeinsam mit Jacob entdecken. Im Prolog sind wir zwar dabei, wie er das Tor zur Spiegelwelt entdeckt. Danach gibt es aber einen größeren Zeitsprung. Da die Welt aber aus Elementen aus der Märchenwelt besteht, ist vieles aus der Welt selbsterklärend. Deswegen fand ich es nicht so schlimm, dass Jacob die Welt vertraut war und nicht mehr viel erklärt wurde. 
Was mir besonders gut an diesem Reihenauftakt gefallen hat war, dass der Konflikt der Handlung nicht daraus bestand, dass eine Welt vor dem Bösen gerettet werden musste. Im Mittelpunkt stand Jacobs Liebe zu seinem Bruder Will und die Frage, was er bereit ist zu tun, um seinen Bruder zu retten. 
Natürlich gibt es in der Spiegelwelt auch politische Krisen: Zwei Völker, die schon seit Jahren im Krieg leben. Allerdings war dieser Konflikt ein Nebenschauplatz. 
Die Charaktere waren aus meiner Sicht etwas oberflächlich dargestellt. Das zeichnete sch für mich dadurch aus, dass sich viele Charaktere nur durch eine Eigenschaft kennzeichnen, aber keine Facetten haben Allerdings fand ich es nicht so schlimm, weil mich gerade der Weltenbau, Cornelia Funkes Schreibstil und die Hörbuchgestaltung begeistern konnten.
Jacob ist ein Einzelgänger. Er macht vieles mit sich aus und ist es offenbar nicht gewohnt, sich von Freund*innen helfen zu lassen. Deswegen reist er im Reihenauftakt sehr viel umehr und vertraut sich nur wenigen Leuten an. Ich konnte es zwar nachvollziehen, dass er Mühe hat, auf Leute zuzugehen, fand ihn teilweise auch etwas eogistisch, weil andere wegen ihm viel Zeit damit verbringen, auf ihn zu warten. 
Clara ist Wills Freundin, die es mehr oder weniger freiwillig in die Spiegelwelt verschlägt. Sie möchte Jacob dabei unterstützen, Will zu retten. Sie merkt aber, dass das gar nicht so einfach ist. Mir war Clara von Anfang an sympathisch und es tat mir leid, dass sie in der fremden Welt ein bisschen allein gelassen wirkte. 
Fuchs, Jacobs Gefährtin, fällt es schwer, Jacob alleine zu lassen. Nach außen hin wirkt sie zwar stark und will nicht, dass man ihr anmerkt, wie viel ihr an Jacob liegt. Doch wenn man genauer hinschaut, wird deutlich, wie sehr Fuchs die Situation belastet. Sie war mir ebenfalls sehr sympathisch. Ich bin neugierig, in den Folgebänden mehr über sie zu erfahren. 
Cornelia Funke baut den Spannungsbogen sehr gut auf. Entweder es passiert sehr viel aktive Handlung und wir erleben unsere Charaktere, insbesondere Jacob, in Aktion. Oder wir lernen die Charaktere dadurch ein bisschen kennen, dass sie uns in ruhigen Momenten an ihren Gedanken teilhaben lassen. Schnell wird deutlich, dass einige Charaktere nicht wirklich wissen, was sie wollen, was ebenfalls für Spannung sorgte. 
Die Hörbuchgestaltung konnte mich vollkommen überzeugen. Das Hörbuch wurde ungekürzt produziert und von Rainer Strecker gelesen. Gleich zu Beginn fiel mir auf, dass die Namen der Kapitel angesagt wurden. Das ist ein großer Pluspunkt, weil es ermöglicht, den Titel im Rahmen einer Lese- oder Hörrunde zu hören, in der ein Roman in unterschiedliche Abschnitte aufgeteilt wird. 
Außerdem gab es, wie bei den meisten Titeln von Cornelia Funke, wieder Musik zwischen den einzelnen Kapiteln. Diese Musik wirkte teils faszinierend, zauberhaft, aber auch sehr düster, was die Atmosphäre sehr gut untermalte. 
Anhand der Länge der Kapitel vermute ich, dass der Titel für ältere Hörer*innen geeignet ist. 
Rainer Streckers Interpretation gefiel mir sehr gut. Er gab den Charakteren nicht nur ihre eigene Stimme, sondern schaffte es auch innere Monologe spannend zu gestalten und die Unsicherheit der Charaktere gut herauszuarbeiten. Nicht zu vergessen bin ich nach wie vor ein großer Fan von Rainer Streckers Stimmfarbe. 
Cornelia Funkes Schreibstil ist sehr bildhaft. Ich mag es, wie sie mit Worten spielt und uns fremde Welten so beschreibt, dass wir sie uns vorstellen können. Cornelia Funke schafft es, mir einen schnellen Einstieg in die Handlung zu ermöglichen. 
Sie erzählt Reckless aus mehreren Perspektiven was uns die Möglichkeit gibt, herauszufinden, was manche Charaktere denken, oder auch erste Fährten zu erkennen, die die Autorin für Folgebände spinnt. 
Etwas erstaunt war ich diesmal aber von der düsteren Atmosphäre der Geschichte. In der Tintenwelt-Reihe gibt es auch immer wieder bedrohliche Szenen, die aus meiner Sicht zwar gruselig gestaltet waren, aber keine schlimmen Bilder erzeugten, die sich nur schwer verkraften ließen. 
In Reckless hingegen wurden Kampfszenen beschrieben und gerade gegen Ende gab es auch ein Blutbad. Aufgrund des Schreibstils bin ich davon ausgegangen, dass der Titel vor allem für jünge Hörer*innen gedacht ist. Aber aufgrund der Gewalt, die beschrieben wird, bin ich mir nicht sicher, ob jüngere Hörer*innen hier nicht eher Albträume bekommen würden. 
Was mir aber sehr gut gefiel war das sprachliche Bild der Goyl. Goyl sind nicht nur Wesen aus Stein. Ihnen bleiben Gefühle und Empathie auch völlig verborgen. Dieses Bild lässt sich wunderbar auf unsere Welt übertragen: Denn, wer genug schlimme Dinge erlebt, oder Ereignisse für sich als schlimm einstuft, wird nach außen hin ebenfalls kalt und baut eine Mauer um sich herum auf. 
Gesamteindruck
Bei Reckless - Steinernes Fleisch handelt es sich um einen soliden Reihenauftakt, der vor allem für Jugendliche gedacht ist. Hier und da fehlte mir etwas die Tiefe. Aber ich glaube es liegt daran, dass ich nicht mehr ganz zur Zielgruppe des Titels gehöre. Dennoch werde ich mir de Folgebäne anhören, weil ich mehr über unsere Charaktere und die Welt hinter den Spiegeln erfahren möchte.