Rezension

Starker Anfang, aber dann ...

SOMERSET. Sehnsucht und Skandal (1) -

SOMERSET. Sehnsucht und Skandal (1)
von Emma Hunter

Bewertet mit 3 Sternen

Es gibt für alles ein erstes Mal. …und damit beziehe ich mich nicht nur auf den amourösen Ausrutscher der weiblichen Hauptfigur Isabella, die im Auftakt von Emma Hunters Somerset-Trilogie voller Verzweiflung nach Bath reist, um dort möglichst schnell einen vermögenden Ehemann zu finden (- gilt es doch, rechtzeitig unter die Haube zu kommen, ehe sich herumspricht, dass sie keine Jungfrau mehr ist, andernfalls wäre der Ruf ihrer gesamten Familie ruiniert). Mein Erstaunen gilt vielmehr der Tatsache, dass ich selten zu Beginn eines Regencyromans begeisterter bin (von der Handlung, dem Schreibstil, den Figuren) als nach Beendigung der Lektüre. Hier allerdings wich meine anfängliche Euphorie nach und nach einem eher verhaltenen Eindruck.

Die Leseprobe des mit einem bezaubernd schönen Cover versehenen Werkes hatte mir unheimlich gut gefallen: ein interessanter Einstieg in die Handlung mit sympathischer Figurenvorstellung (- insbesondere Isabellas Dienstmädchen Betty alias ihre angebliche Anstandsdame sowie die smarte, geheimnisvoll wirkende Witwe Rebecca mochte ich gerne -), tolle atmosphärische Beschreibungen von der Kleidung und den Locations, die sogleich Bilder der historischen Kulisse im Kopf entstehen lassen, und ein attraktiver Fremder, den Isabella eigentlich keines Blickes würdigen sollte. Ideale Voraussetzungen also. Ich war voller Vorfreude, lehnte mich mit einem Tässchen Kaffee - passend zu Isabellas Koffein-Liebe in der Story - im Lesesessel zurück und … nun ja, alles verlief anders als erhofft.

Zunächst das Positive: Man merkt, dass die Autorin selbst ein Fan der Regency-Ära ist; sie hat eindeutig gründlich recherchiert und sich mit dieser Epoche auseinandergesetzt. Die von Ungerechtigkeit und Abhängigkeit geprägte Rolle der Frau und die ungeschriebenen Gesetze der Gesellschaft hinsichtlich allgemeiner Moralvorstellungen, z.B. dem 'angemessenen' Umgang mit Personen anderen Standes, all das wurde sehr authentisch ausgearbeitet.

Mit fortschreitender Handlung gab es jedoch leider immer mehr Punkte, die mich störten - beispielsweise die Hauptcharaktere, deren Verhalten mich zunächst irritierte, später ärgerte und insgesamt einen unguten Beigeschmack hinterließ. Isabella, die sich zu Beginn der Story durch ihre heimliche Rebellion gegen die gängigen Sitten und durch ihre Unangepasstheit auszeichnet - sie interessiert sich für Medizin, würde gerne studieren und liebt das verpönte Getränk namens Kaffee -, hat im Grunde nur eine einzige Mission: nach ihrem Fauxpas schnellstmöglich zu heiraten. Tadelloses Benehmen ist hierfür Voraussetzung, immerhin ist die High Society bei Skandalen gerade in der Flanier-Stadt Bath gnadenlos. Ihr eigenes UND das Wohl ihrer gesamten Familie hängt von Isabellas Erfolg am Heiratsmarkt ab, da sollte man doch meinen, sie würde sich voll und ganz dieser Aufgabe verschreiben. Augen zu und durch! Was tut sie stattdessen? Sie zögert stets kurz und weiß exakt, was sie n i c h t tun sollte, nur um es letztlich dennoch zu tun. Sobald die Hormone verrücktspielen, wirft sie alle Logik über Bord und sich selbst direkt dem nächsten Mann in die Arme. Solch ein leichtsinniges, nicht nachvollziehbares und, es tut mir leid, dümmliches Verhalten hätte ich nicht von der an sich intelligenten jungen Frau erwartet. Oft wirkte sie stur und uneinsichtig, lernt nicht aus ihren Fehlern, und ich dachte mir: 'Mädchen, dann ist dir echt nicht zu helfen'. Auch Alexander war nicht mein Favorit, anfangs charismatisch und verwegen, benahm er sich ca. ab Mitte der Handlung zunehmend unsympathisch und grenzwertig in puncto Dominanz. Schade um die tollen, liebenswerten Nebenfiguren (Betty, Rebecca, Tom), welche die Handlung deutlich aufgewertet haben. Die Freundschaft zwischen den drei Frauen ist auch noch etwas, das ich positiv erwähnen kann - die Dynamik zwischen ihnen gefiel mir super!

Der Schreibstil war auf 3½-Sterne-Niveau, häufig bildreich, allgemein flüssig und angenehm; allerdings kamen Begriffe vor, die absolut unpassend für den Ton eines Regencyromans waren. Im Hinblick auf die damalige Zeit wirkten Aussagen wie "»Es lief beschissen.«" oder das eher 'moderne' Schimpfwort A…loch schlichtweg unauthentisch und bescherten mir Cringe-Momente. Weiterhin störte mich die permanente Verwendung von Vornamen in den Dialogen. Wenn ich mich mit jemandem unterhalte, fange ich nicht gefühlt jeden zweiten Satz mit dessen Vornamen an; irgendwann nervte es nur noch, "Isabella" zu lesen.

Folglich erschien mir das Werk mit der Zeit langatmig - spätestens, als die Hauptfiguren ihre Sympathien bei mir verspielt hatten, ich nicht mehr mit ihnen mitfieberte und der in meinen Augen nicht ganz ausgereifte Plot um einen Schmugglerring die Love Story (und meinen Lesefluss) noch mehr ausbremste. Die zahlreichen unnötigen Missverständnisse waren zu viel des Guten; 'unnötig' deshalb, weil sowohl Isabella als auch Alexander als (vermeintlich) kluge, belesene Charaktere präsentiert werden und somit in der Lage gewesen wären, zumindest hin und wieder ein vernünftiges, klärendes Gespräch führen zu können. Wahre Romantik kam trotz einiger ansprechend gestalteter Erotikszenen keine auf. Für mich fühlte es sich einfach so an, als wären ER und SIE (wie gesagt, von den Namen habe ich vorerst genug) hauptsächlich von Lust und teilweise toxisch anmutenden Besitzansprüchen, nicht von Liebe angetrieben. Die tiefen Emotionen fehlten mir, alles zwischen ihnen wirkte irgendwie oberflächlich.

Nicht einmal über das von Romanen dieses Genres zu erwartende Happy End konnte ich mich noch freuen. Die 'Auflösung' des Nebenplots erschien mir unlogisch, das Ende wirkte (nach über 550 Seiten) recht überstürzt und zu schnell abgehandelt.

Fazit: 3 Sterne.
Ich habe mich mit dieser Rezension enorm schwergetan, möchte weder die sympathische Autorin, die durchaus Schreibtalent besitzt, kränken noch dazu beitragen, dass andere Regency-Fans womöglich falsche Erwartungen an das Buch hegen und letztlich enttäuscht werden. Die Story hat stark angefangen und (- es tut mir im Herzen weh, denn ich wollte den Roman so gerne lieben -) leider stark nachgelassen: eine thematisch überladene Handlung mit zu wenig Gefühl, Logik und Tiefgründigkeit, dafür zu viel Drama, Unglaubwürdigkeit und Figuren, die es einen nicht leicht machen, sie zu mögen. Von Julia Quinn's Bridgerton-Reihe oder gar legendären Klassikern wie Jane Austen fange ich gar nicht erst an, doch auch im Vergleich mit den vielen jüngst erschienenen Regencywerken (wie Julie Marshs wundervollem Roman "Die Ladys von Somerset") konnte diese Geschichte mich nicht überzeugen. Vielleicht treffen Band 2 und 3 eher meinen Geschmack, ich würde es mir sehr wünschen.