Rezension

Diese Rezension enthält Spoiler. Klicken, um alle Spoiler auf dieser Seite lesbar zu schalten.

Verliebt, verlobt, vergewaltigt – DAS ist nicht romantisch!

Bridgerton - Der Duke und ich -

Bridgerton - Der Duke und ich
von Julia Quinn

~ Was der Hype um die „Bridgerton“-Reihe versprach, konnte der erste Band leider nicht halten. Auf hohe Erwartungen folgten zuerst Ernüchterung, dann Enttäuschung, später auch etwas Wut – und am Ende blieb ein sehr bitterer Nachgeschmack zurück. Die Autorin hat selbst gesagt, dass sie manche Szenen heute (das Buch ist im Jahr 2000 das erste Mal erschienen) nicht mehr so schreiben würde – und das ist auch gut so, denn toxische Männlichkeit und Vergewaltigung können niemals romantisch sein! Für mich endet jedenfalls der Ausflug in Julia Quinns Version der Regency-Ära genau hier – ich werde mich in Zukunft von ihren Büchern fernhalten und lieber die Serie verfolgen. Von mir gibt es daher leider keine Leseempfehlung! ~

Inhalt

Daphne Bridgerton braucht dringend einen annehmbaren Ehemann, doch nur unpassende Kandidaten zeigen romantisches Interesse. Simon, der Duke, hingegen will nach seiner Rückkehr von einer Weltreise einfach nur den unerträglichen Kuppelversuchen verzweifelter Mütter entgehen und niemals heiraten.

Schnell schließen die beiden einen Pakt: Simon soll um Daphne werben, dadurch für sie eifersüchtige Konkurrenten anlocken und gleichzeitig endlich seine Ruhe haben. Eigentlich ist der Plan wasserdicht – nur haben Simon und Daphne nicht mit ihren eigenen Gefühlen gerechnet, die von Tag zu Tag stärker werden…
 
Übersicht

Einzelband oder Reihe: Band #1 von 8
Erzählweise: Figurale Erzählweise, Präteritum
Perspektive: weibliche und männliche Perspektive im Wechsel
Kapitellänge: mittel
Tiere im Buch: +/- Aale (lebendige?) werden in ein Bett gelegt, ansonsten werden keine Tiere verletzt, gequält oder getötet.
Content Note / Inhaltswarnung: sexualisierte Gewalt (bis Vergewaltigung), Sexismus, Blut, Gewalt
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: Weib (mehrmals)

Warum dieses Buch?

Irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem auch ich mich einem Hype nicht länger entziehen kann. Ich hatte im Vorhinein auch nur Gutes über die Bücher gehört – sogar von Leuten, von denen ich das niemals erwartet hätte! Deshalb musste ich mir unbedingt meine eigene Meinung dazu bilden.
 

Rezension

„London wimmelt dieser Tage nur so von Müttern, die ihre Töchter unter die Haube bringen wollen.“ E-Book, Position 964

Literarisches Fast Food (Schreibstil: 3 Sterne)

Gut gefallen hat mir, dass Julia Quinn so flüssig und angenehm schreibt, dass sich das Buch unglaublich schnell weg lesen lässt. Die Beschreibungen der Räume und Umgebung bleiben allerdings stets sehr, sehr oberflächlich, sodass man sich im Prinzip alles selbst ausmalen muss – hier hätte ich mir mehr Details und mehr Tiefe gewünscht. Nach der Lektüre fragt man sich dann schon, ob es das wirklich wert war (Antwort: nicht wirklich) – eben wie bei echtem Fast Food.

Enttäuschende Wortgefechte (Dialoge: 2,5 Sterne)

Was ich besonders an den historischen Romanen über diese Zeit schätze, sind die temporeichen, schlagfertigen, auf intelligente Weise humorvollen (engl. „witty“) Wortgefechte. In diesem Punkt hat mich das Buch (trotz ein paar gelungener Momente) enttäuscht, von Jane Austen und Oscar Wilde bin ich hier einfach etwas ganz anderes gewohnt. Mir fehlte hier das gewisse Etwas, mich ließen die Gespräche ernüchtert zurück, vor allem weil sie oft schlicht nicht witzig waren und sich immer wieder im Kreis drehten. In jedem zweiten Satz droht zum Beispiel jemand einer Person scherzhaft, sie „umzubringen“. Insgesamt enttäuschend!

Traumhaft oder ziemlich toxisch? (Liebesgeschichte: 1 Stern)

Die historischen Liebesromane von Julia Quinn werden ja immer wieder als hochromantische Wohlfühlbücher angepriesen – und das sind sie auch. Zumindest wenn man toxische Beziehungen, toxische Männlichkeit (er brüllt sie an, bedroht sie, droht ihr Vergewaltigung an, schüchtert sie ein), Gaslighting (= Wahrnehmung des Opfers wird infrage gestellt) und Vergewaltigung (einer sturzbetrunkenen, schlafenden Person) romantisch findet. Dann wird man beim Lesen großen Spaß haben! Ich jedoch fand die Lovestory einfach nur furchtbar – und so ein Happy End, bei dem die Vergewaltigerin ihren Willen bekommt und dann alle glücklich bis an ihr Lebensende leben, schmeckt dann doch nicht ganz so süß, sondern sogar ziemlich bitter. Wie soll ich so eine Beziehung feiern? Wo ist das noch ein Wohlfühlbuch? Seltsamerweise lese ich in kaum einer deutschen Rezensionen Kritik dazu. Warum? Meiner Meinung nach wäre der Aufschrei viel größer gewesen, wenn die Geschlechterrollen umgekehrt gewesen wären. Wichtig hierbei: Auch ein Mann kann zum Opfer werden, das macht eine Vergewaltigung nicht weniger schlimm!

Starre Geschlechterrollen & Doppelmoral (Feminismus: 2 Sterne)

Gefallen hat mir, dass Daphne als starke Frau dargestellt wird, die sich im Notfall selbst retten kann und die genau weiß, was sie will. Zudem gibt es noch einige weitere intelligente, starke Frauenfiguren im Buch. Dass die Geschlechterrollen in dieser Zeit natürlich viel starrer waren als heute und dass es damals eine große Doppelmoral in Bezug auf das Liebesleben gab (Männer sollten Erfahrungen sammeln, aber ein einziger Kuss konnte den Ruf einer Frau und ihrer gesamten Familie ruinieren), war mir im Vorhinein klar, deshalb gibt es hier auch keinen großen Punkteabzug. Mehr als zwei Sterne gibt es aber trotzdem nicht – die toxische Männlichkeit und die Vergewaltigung sind in meinen Augen nämlich unverzeihlich.

Rätselhafter Hype (Idee, Themen, Umsetzung: 3 Sterne)

Was mich bei diesem Buch so überrascht hat, ist nicht der Hype an sich, sondern eher welche Leute er erreicht hat: nämlich nahezu alle – auch solche, von denen ich nie gedacht hätte, dass ihnen dieser Roman gefallen würde. Irgendwann wurde ich neugierig und wollte selbst herausfinden, was hinter diesem Hype steckt. Die Grundidee und den Plot fand ich zwar vorhersehbar, aber durchaus charmant und gut gemacht und die Themen (Liebe, Intrigen, das Leben in der damaligen Zeit, Tratsch, Familie) wurden auch zumindest nicht ganz oberflächlich abgehandelt (auch wenn etwas mehr Tiefe natürlich trotzdem wünschenswert gewesen wäre). Tja, leider haben die toxische Beziehung und die Vergewaltigung (in meinen Augen) auf einen Schlag alles in Flammen aufgehen lassen, sodass am Ende nur noch ein rauchendes Häufchen Asche davon übrigblieb. Schade!

Uninteressanter, unnötiger zweiter Epilog voller Spoiler (Epilog: 0 Sterne!)

Ich bin ohnehin überhaupt kein Fan von Epilogen – sie sind meist einfach unerträglich langweilig und kitschig! Gegen den kleinen, aber feinen ersten Epilog habe ich nichts einzuwenden, aber dieser neue, im Nachhinein angefügte zweite Epilog ist in meinen Augen nicht nur unnötig und uninteressant (weil nichts Wichtiges passiert), sondern er spoilert sogar noch mit wem Colin einmal zusammenkommt und wie viele Kinder er bekommt. Was sollte das denn, Frau Quinn?! Ich kann euch jedenfalls nur raten, einfach so zu tun, als würde es diesen Epilog nicht geben und ihn auf keinen Fall zu lesen!

Nett, aber nicht mehr (Figurenzeichnung: 3 Sterne)

Die Figuren fand ich weder besonders schlecht noch besonders gut gelungen, sie waren schon okay ausgearbeitet, ganz sympathisch (hatte aber auch ihre unsympathischen Seiten, besonders der überhebliche Simon), hatten ein paar Stärken und Schwächen, manche auch eine dramatische Hintergrundgeschichte, aber mein Herz berühren konnten sie leider nicht und sie werden mir wohl auch nicht lange in Erinnerung bleiben. Obwohl… Moment! Colin muss ich hier ausnehmen, ihn fand ich sehr charmant und zauberhaft!

Vorhersehbar, aber ich bin trotzdem zufrieden (Spannung & Atmosphäre: 3 Sterne)

Damit, dass dieser historische Liebesroman vorhersehbar und nicht gerade atemlos spannend ist, war natürlich zu rechnen. Gelangweilt habe ich mich beim Lesen zumindest keine einzige Seite lang, denn die Geschichte ist in angenehmem Tempo erzählt und lässt sich (wie gesagt) schnell weglesen. Etwas atmosphärischer hätten die Beschreibungen der Umgebung aber schon sein dürfen!

Gelungene Verfilmung! (Netflix-Serie: 3,5-4 Sterne)

Überraschenderweise kann die Serie im Gegensatz zum Buch durchaus überzeugen! Sie hält das, was die Romanvorlage verspricht, aber nicht halten kann und begeistert mit: Romantik, besseren Wortgefechten, guter Chemie zwischen den Hauptdarsteller·innen, viel Diversität und einer echten Wohlfühlatmosphäre. Besonders positiv aufgefallen ist mir der „Female Gaze“ (= weibliche Blick) bei den Liebesszenen – hier gibt es viele Nahaufnahmen der Gesichter und der Fokus wird auf die Gefühle und das Erleben der Figuren gelegt. Die Vergewaltigungsszene wird übrigens deutlich entschärft (Simon schläft nicht und ist auch nicht betrunken oder wehrlos) und wird damit von einer glasklaren Vergewaltigung eher zu einem (für mich immer noch problematischen) Grenzfall, über den man streiten und mit dem ich zumindest leben kann.

 

Mein Fazit

Was der Hype um die „Bridgerton“-Reihe versprach, konnte der erste Band leider nicht halten. Auf hohe Erwartungen folgten zuerst Ernüchterung, dann Enttäuschung, später auch etwas Wut – und am Ende blieb ein sehr bitterer Nachgeschmack zurück. Die Autorin hat selbst gesagt, dass sie manche Szenen heute (das Buch ist im Jahr 2000 das erste Mal erschienen) nicht mehr so schreiben würde – und das ist auch gut so, denn toxische Männlichkeit und Vergewaltigung können niemals romantisch sein! Für mich endet jedenfalls der Ausflug in Julia Quinns Version der Regency-Ära genau hier – ich werde mich in Zukunft von ihren Büchern fernhalten und lieber die Serie verfolgen. Von mir gibt es daher leider keine Leseempfehlung!

Bewertung

Idee: 4 Sterne
Inhalt, Themen, Botschaft: 3 Sterne
Umsetzung: 2 Sterne
Worldbuilding: 2 Sterne
Einstieg: 3 Sterne
Ende: 3 Sterne
Schreibstil: 3 Sterne
Dialoge: 2,5 Sterne
Figuren: 3 Sterne
Liebesgeschichte: 0 Sterne
Spannung: 3 Sterne
Wendungen: 3 Sterne
Atmosphäre: 2 Sterne
Emotionale Involviertheit: 2 Sterne
Feministischer Blickwinkel: 2 Sterne
Einzigartigkeit: 2 Sterne
Serie: 3,5-4 Sterne

Insgesamt:

❀❀ Sterne

Dieses Buch bekommt von mir zwei Sterne!