Rezension

Verstörend und brilliant zugleich

Sommer bei Nacht - Jan Costin Wagner

Sommer bei Nacht
von Jan Costin Wagner

Bewertet mit 4 Sternen

Es ist Sommer in Wiesbaden. Es ist heiß. Es ist kurz vor den Sommerferien. In der Schule findet ein Trödelmarkt statt, und in einem unaufbesichtigtem Moment verschwindet ein kleiner Junge. Anhand eines unscharfen Bildes einer Überwachungskamera ist der Junge mit einem Fremden mitgegangen, der ihn mit einem Teddy geködert hat. Die Polizei beginnt mit ihren Ermittlungen und kommt nur mühsam voran, bis ihnen ein ähnlich gelagerter Fall in Österreich zu Ohren kommt.

Was macht diesen Krimi von Jan Costin Wagner so besonders? Es ist ein literarischer Krimi, mit einer besonderen Sprache, oft abgehackt mit vielen Wiederholungen, aber auch irgendwie poetisch. Ich habe eine Weile gebraucht ,mich daran zu gewöhnen. Es geht um Kindesmissbrauch und Wagner lässt ausgerechnet einen Kommissar ermitteln, der selbst pädophile Neigungen hat. Das war für mich fast unerträglich, und ich habe zu Beginn des Buches mit mir gerungen, ob ich dieses Buch gleich wieder abbrechen soll.

Aber ich glaube genau diese Reaktion will der Autor auch erzeugen. Es ist nicht immer Alles schwarz oder weiß. Die Grenzen verschwimmen zuweilen. Ben, einer der Polizisten, sollte doch eigentlich ein Guter sein , schaut sich Bilder von nackten, kleinen Jungs an? Das ist sehr provozierend, zumal der Autor wohl eine Reihe geplant hat und man davon ausgehen muss, dass es nicht bei den Bildern bleiben wird.

Das Buch hat mich dennoch gefesselt. Die Kapitel sind kurz und aus der Perspektive von quasi allen Beteiligten geschrieben. Das ist sehr emotional und ergreifend und bringt tiefe Einblicke in die unterschiedlichen Charaktere. Man kann sich einfühlen in Familien, deren Lebensentwurf durch den Verlust eines Kindes von einem Moment zum anderen zusammenbricht. Auch die Polizisten, die so unbedingt noch eine Ergebnis erzielen wollen, bevor es zu spät ist und doch nur schleppend langsam vorankommen, kann man gut verstehen. Sogar die Täterperspektive gibt es und einen kurzen Abschnitt in dem der kleine Junge zu Wort kommt.

Der Roman "Sommer bei Nacht" ist ganz bestimmt keine leichte Kost und wird polarisieren. Je weiter ich jedoch mit dem Lesen vorangeschritten bin, desto weniger konnte ich das Buch aus der Hand legen. Ich komme nicht umhin, dem Autor einen brillanten Sparchstil und ein sehr gutes psychologisches Gespür zu attestieren, auch wenn die Geschichte düster und verstörend ist.