Rezension

Was ist Glück?

Das Ministerium des äußersten Glücks - Arundhati Roy

Das Ministerium des äußersten Glücks
von Arundhati Roy

Bewertet mit 5 Sternen

Bei diesem Buch darf man sich nicht vom schönen Titel täuschen lassen. Zwar gibt es einen glücklichen Ort – aber der ist auf dem Friedhof. Zum Glück aber nicht in Kaschmir.

„Während der Krieg voranschritt, wurden Friedhöfe im Kaschmirtal ein so weit verbreiteter Anblick wie mehrstöckige Parkhäuser in den boomenden Großstädten im Flachland. Als ihnen der Platz ausging, wurden manche Gräber doppelstöckig wie die Busse in Srinagar, die einst Touristen vom Lal Chowk zur Boulevard Road gefahren hatten.“ (Seite 399)

Doch von vorn: Anjum wurde in der Altstadt von Dehli als der Junge Aftab geboren, hatte jedoch auch weibliche Geschlechtsmerkmale. Gefühlsmäßig eher Frau, lebte sie mit anderen Hijras zusammen, bevor sie sich auf dem Friedhof niederließ und dort sogar ein Gästehaus eröffnete.

„Alle paar Monate ließ die Stadtverwaltung an Anjums Haustür einen Zettel anbringen, auf dem stand, dass es grundsätzlich strikt verboten war, auf dem Friedhof zu leben, und jedes nicht genehmigte Bauwerk innerhalb einer Woche abgerissen würde. Darauf erklärte sie, dass sie nicht auf dem Friedhof lebe, sondern sterbe – und dafür brauche sie die Erlaubnis der Stadtverwaltung nicht, da sie die Genehmigung des Allmächtigen höchstpersönlich habe.“ (Seite 91)

Dieses Buch ist ein Konglomerat aus verschiedenen Religionen, aus Armen und Reichen, Schönen und Hässlichen. Es beinhaltet unterschiedliche Geschichten, die alle miteinander verbunden sind. Die Journalistin Tilottama beispielsweise berichtet Schreckliches von den Aufständischen in Kaschmir.

„Ich würde gern eine dieser kultivierten Geschichten schreiben, in denen zwar nichts passiert, aber es trotzdem viel gibt, worüber man schreiben kann. So etwas ist in Kaschmir nicht möglich. Es gibt zu viel Blut für gute Literatur.“ (Seite 356)

 

Gute Literatur ist dieses Buch auf jeden Fall. Der Schreibstil ist zwar nicht einfach und der Inhalt oft schwer verdaulich, aber nach dem Einlesen und ein wenig Recherche zwischendurch lässt einen das Gelesene nicht mehr los. Das Buch wühlt auf und erfordert Durchhaltevermögen, weil sich die Geschichte erst nach und nach erschließt. Immerhin hat die Autorin zwanzig Jahre lang daran gearbeitet.

Viele der indischen Ausdrücke sind im angehängten Glossar erklärt, das Lebensgefühl der Protagonisten blieb mir persönlich jedoch fremd. Bisher sind mir nur sehr wenig Bücher untergekommen, die mich emotional so sehr beschäftigt haben. Das schwierige und intensive Eintauchen in eine völlig fremde Welt hat mich teilweise verstört und wird mich so schnell nicht wieder loslassen. Wie zum Beispiel auf Seite 401, wo es um die „Freiheit“ ging, für die Frauen lernen müssten, sich anständig anzuziehen. Unterdrückung und Religionskriege werde ich nie verstehen (wollen)!

 

Dies ist kein Buch, das man einfach nur zuklappt um mit dem nächsten zu beginnen.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 21. März 2021 um 18:03

Es ist auf jeden Fall immer ein Roman, der einen bewegt, wenn man "die Lieblinge" der Leserinnen liest, die man kennt und von denen man mutmaßt, dass sie auf derselben Wellenlänge lesen.