Rezension

Weitaus mehr, als ein belangloser "Frauen-in-Hosen-Roman"

Die letzte Jüdin von Würzburg - Roman Rausch

Die letzte Jüdin von Würzburg
von Roman Rausch

Bewertet mit 4 Sternen

Straßburg, 1349

Die junge Jüdin Jaelle entkommt einem Pest-Pogrom. Kurz vor seinem gewaltsamen Tod, schärft Jaelles Vater ihr ein, sich auf den Weg nach Würzburg zu machen. In der dortigen jüdischen Gemeinde lebt ein Verwandter, der sie sicher aufnehmen wird. In Männerkleidung, und als Christ getarnt, macht sie sich als "Johan" auf den beschwerlichen Weg. Dabei lernt sie Michael de Leone, einen wichtigen Berater des Würzburger Bischofs, kennen. Dieser nimmt Johan als Schreiber in seine Dienste auf.

In der jüdischen Gemeinde wendet sich Jaelle an Rabbi Moshe. Da Jaelle die wichtigen Schriftrollen, die Auskunft über ihre Herkunft geben, auf der Flucht verloren hat, empfiehlt der Rabbi ihr, auf das Angebot von Michael de Leone einzugehen und die Tarnung als christlicher Mann zunächst aufrechtzuerhalten. Denn dadurch bekommt der Rabbi Einblicke in die Vorgänge am Bischofshof und hofft, drohendes Unheil frühzeitig zu erkennen. Nur widerwillig lässt sich Jaelle auf das gefährliche Spiel ein.....

 

Die Zusammenfassung des Inhalts lässt vermuten, dass es sich hier um einen "Frauen-in-Hosen-Roman" handelt, bei dem der historische Hintergrund lediglich dazu dient, einer romantischen Liebesgeschichte den passenden Rahmen zu geben. Doch das ist weit gefehlt, denn "Die letzte Jüdin von Würzburg" hat weitaus mehr zu bieten. Es handelt sich um einen sehr gut recherchierten historischen Roman, in dem das Schicksal der Würzburger Juden erzählt wird.

Die Geschichte der Jüdin Jaelle ist fiktiv, allerdings beruht sie auf den damaligen Ereignissen. Gemeinsam mit Jaelle taucht man in die vergangene Zeit ein,  und erlebt das Geschehen in der Stadt aus unterschiedlichen Perspektiven. Denn Jaelle hat durch ihre doppelte Identität die Möglichkeit, die Stimmung im christlichen und auch im jüdischen Teil der Stadt zu erkunden und sich dort zu bewegen. Roman Rausch gelingt es dabei sehr gut, das Leben in der Stadt zu beschreiben. Man kann sich beim Lesen alles mühelos vorstellen und in die Handlung eintauchen. Jaelle ist sehr sympathisch. Sie passt in ihre Zeit und wirkt nicht unglaubwürdig. Dadurch fällt es leicht mit ihr mitzufiebern. Denn schon bald nimmt man zwischen den Zeilen die drohende Gefahr für die jüdische Bevölkerung wahr. Doch niemand scheint die Anzeichen dafür allzu ernst zu nehmen. Fassungslos beobachtet man, wie Lügen verbreitet werden, die von der Bevölkerung gierig aufgesogen werden. Denn es ist doch ziemlich praktisch, für die Pest und drohende Missernten einen Sündenbock parat zu haben, den man ganz nebenbei auch noch um sein Vermögen erleichtern kann.

Eine romantische und vorhersehbare Liebesgeschichte braucht man hier nicht zu befürchten. Obwohl auch hier Gefühle eine Rolle spielen, drängen sie sich nicht zu sehr in den Vordergrund der Erzählung. Roman Rausch gelingt es in diesem Roman Fiktion und traurige Realität gut aufeinander abzustimmen. Ganz nebenbei bekommt man hier geschichtliche Fakten vermittelt, die lange nachwirken und zum Nachdenken anregen.

Mir hat dieser historische Roman sehr gut gefallen, da er sich wohltuend aus der breiten Masse abhebt und sich dabei nicht zu einem kitschigen Liebesroman wandelt. Ein dunkles und nicht gerade ruhmreiches Kapitel der Geschichte wird hier interessant und lebendig vermittelt. Ich vergebe deshalb begeisterte vier Sterne und eine klare Leseempfehlung. Das eine Sternchen ziehe ich ab, da mir die politische Situation stellenweise zu viel Raum einnahm. Obwohl ich zugeben muss, dass dieses Hintergrundwissen sicher nötig ist, um die Lage richtig einzuschätzen.