Rezension

Wer ist Tom Ditto?

Der unglaubliche Sommer des Tom Ditto - Danny Wallace

Der unglaubliche Sommer des Tom Ditto
von Danny Wallace

Bewertet mit 3 Sternen

Eines Abends kommt der Radiomoderator Tom Adoyo nach Hause und findet eine mysteriöse Botschaft seiner Freundin vor. Hayley ist weg aber hat ihn nicht verlassen und bittet ihn, weiterzumachen wie bisher. Tom ist wie vor den Kopf gestoßen, versteht die Welt - seine Welt - nicht mehr und macht natürlich nicht so weiter wie bisher. Stattdessen begibt er sich auf die Suche nach Hayley und stößt dabei auf ungeahnte Geheimnisse, die sein Leben völlig aus der Bahn werfen.

Stil, Leseeindruck:
"Im Grunde war der Abend des 12. Juni natürlich aus vielerlei Gründen ungewöhnlich. Vor allem aber war er ungewöhnlich, weil der Abend des 12. Juni der Abend war, an dem mich meine Freundin nicht verließ." (Zitat Seite 9)
Kapitel Eins hat mich sehr neugierig auf das Buch gemacht, überhaupt hat es mir der Schreibstil des Autors angetan. Wallace schafft es bereits mit diesen ersten Zeilen, den Leser auf eine Reise zu schicken, die - man ahnt es von Anfang an - ungewöhnlich und unglaublich werden wird.

Das Cover suggeriert leider einen, wie ich finde, völlig falschen Eindruck, bzw. löst andere Erwartungen beim Leser aus. Ich vermutete zunächst eine romantische Liebesgeschichte, die garantiert mit einem Happy End für Tom und Hayley enden wird. Weit gefehlt! Dieser Roman ist alles andere als eine Liebesgeschichte à la Nicholas Sparks und Co. Alle Leser, die mit dieser Erwartungshaltung an "Der unglaubliche Sommer des Tom Ditto" herangehen, werden enttäuscht, wenn nicht sogar verärgert sein. Auch der Titel ist meines Erachtens irreführend, hier passt der Originaltitel "Who is Tom Ditto?" wesentlich besser zum Inhalt und der Kernaussage des Romans, denn während sich Tom Adoyo (warum es im Titel "Ditto" heißt, darf der Leser selbst erkunden) auf Spurensuche nach Hayley begibt und damit auf das Wiedererlangen seines bisherigen Lebens spekuliert, läuft er Gefahr, sich selbst zu verlieren. "Wo war Hayley hin?" ist die zentrale Frage für Tom und tagein tagaus kreist sie in seinen Gedanken.

Wallace kreiert in seinem Roman mehrere Handlungsstränge. So gibt es neben Tom´s Suche nach Hayley auch eingeschobene Kapitel, die sich dem Leser erst im letzten Teil des Buches vollständig erschließen. Diese Einschübe, die ein Interview eines gewissen Ezra Cockroft darstellen, enthalten viele Denkanstöße und interessante Thesen. Cockroft, der Begründer der sogenannten "Carbon Copy" (CC)-Bewegung, entwickelte aus der einfachen Idee, wildfremde Menschen im Alltag nachzuahmen eine Theorie mit durchaus interessanten Gedanken rund um das Thema Identität. Die "CC"-Gruppe ist es dann auch, auf die Tom bei seiner Suche stößt und die sein Leben maßgeblich verändern wird.

Der Autor schafft intelligente Parallelen, wirft beim Leser immer wieder neue Fragen auf und schiebt deren Klärung lange auf, um diese dann oftmals völlig unerwartet in die aktuelle Handlung einzuflechten. Was einerseits intelligent und scharfsichtig scheint, birgt andererseits eine große Gefahr: Der Leser verliert sich in den Irrungen und Wirrungen der Handlungsstränge und der vielen offenen Fragen. Es ist ein Roman, den man wie im Schleudergang durchlebt, kein Weichspüler und keine Schonwäsche dafür aber ein langer und stellenweise intensiver Waschgang.

Der Spannungsbogen flacht im Mittelteil des Buches stark ab und so arbeitet man sich als Leser durch diesen Teil, weil man wissen will wie es weitergeht und die Figuren durchaus interessant sind. Die Charaktere sind gut gezeichnet und mir war Tom auch sympathisch, die stärkste Figur im Roman war allerdings Pia (ein Mitglied der "CC"-Gruppe, auf die Tom bei seiner Suche stößt). Sie avancierte vom stalkenden, unscheinbaren Mädchen zu einem interessanten und geheimnisvollen Charakter, den man mögen muss. Und so geht es dem Leser wie Tom: "Ich fand sie faszinierend. Ich konnte sie mir nicht erklären. Ich verstand sie nicht. (...) Ich sollte mich lieber treiben lassen und erleben, wie sich die Menschen vor meinen Augen entwickelten, wie Filme in der Dunkelkammer – das Leben anderer einfach mitspielen, so wie Pia." (Zitat Seite 197)
Pia bringt ihm den Grundgedanken der "CC"-Bewegung näher, indem sie ihn mitnimmt auf ihre Verfolgungstouren. Was Tom zunächst für krank und abartig hält, erschließt sich ihm mehr und mehr und so fängt auch er an, fremden Menschen zu folgen. Er erlebt, was sie erleben, entdeckt, was sie entdecken und rätselt schließlich um das, was aus ihnen wird. Und so wird sein Leben bunter, aufregender und er stellt sich mit neu entdeckter Kraft seinen eigenen Dämonen.

"Der unglaubliche Sommer des Tom Ditto" ist ein Roman, der neben einer guten Prise Humor auch mit viel Stoff zum Nachdenken aufwarten kann. So werden Themen wie die Aufgabe der Individualität oder Depression und Trauerbewältigung angesprochen und mögliche Herangehensweisen an diese Probleme thematisiert. Das alles verpackt Wallace in eine interessante Story, mit deren Ausgangspunkt sich jeder von uns identifizieren kann, denn das Verlassenwerden ohne Angabe von Gründen und ohne zu wissen, wo der andere Mensch ist, dürfte wohl bei uns allen Angst und Unwohlsein auslösen.

Fazit:
Ein intelligenter und stilistisch guter Roman, der viele interessante Gedankengänge und Thesen aufwirft. Leider verzettelt sich der Autor ein wenig, was den Tiefgang des Buches stört und den Leser ungeduldig und damit auch unaufmerksam werden lässt. Ein Buch, das weder schlecht, noch besonders gut ist – auf jeden Fall aber mit Spannung, der richtigen Dosis Humor und viel Stoff zum Nachdenken punkten kann.