Rezension

Wundervolles, einzigartiges, berührendes Jugendbuch

Die Wahrheit über Dinge, die einfach passieren - Ali Benjamin

Die Wahrheit über Dinge, die einfach passieren
von Ali Benjamin

~ „Die Wahrheit über Dinge, die einfach passieren“ ist ein Jugendbuch der leisen Töne, das aber dennoch niemals langweilig wird. Vielmehr taucht man vollkommen ab in Suzys Innenwelt und ihre Versuche, mit dem Verlust ihrer ehemals besten Freundin umzugehen. Der Schreibstil ist angenehm komplex, flüssig und leicht verständlich, dabei aber auch sehr eindringlich und berührend. Ein richtiges Highlight sind die vielen interessanten Informationen über Quallen und die Natur, die Autorin geschickt einwebt. Suzys Faszination springt hierbei sehr schnell auf die LeserInnen über. Die Figuren sind liebevoll ausgearbeitet und die behandelten Themen wie Erwachsenwerden, Trauer, Verlust, Anderssein und Einsamkeit werden angemessen behandelt. Dennoch hätte ich mir vor allem in der letzten Hälfte des Buches gewünscht, dass die Autorin noch etwas mehr in die Tiefe geht und sich mehr Zeit lässt, um die Geschichte zu einem Ende zu führen. Aber auch so hat sich Ali Benjamin mit ihrer Geschichte um Dinge, die einfach passieren, in mein Herz geschrieben und sich zu einer meiner neuen LieblingsjugendbuchautorInnen gemausert. ~

Inhalt

Suzy kann es nicht glauben: Ihre ehemals beste Freundin soll ertrunken sein? Obwohl sie eine der besten Schwimmerinnen war, die sie kannte? Nein, so etwas kann doch nicht einfach so passieren! Wo ist der Sinn dahinter, das Muster? Suzy setzt es sich zum Ziel, herauszufinden, woran Franny wirklich gestorben ist. Und sie hat auch schon eine Vermutung: Die Irukandij, die gefährlichste Qualle der Welt, muss es gewesen sein…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Verlag: Hanser
Seitenzahl: 240
Altersempfehlung: 12-15 Jahre
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präsens und Präteritum
Perspektive: aus weiblicher Perspektive (Suzy)
Kapitellänge: kurz bis sehr kurz (teilweise nur eine Seite)
Tiere im Buch: +/- Es wird ein Frosch gequält und getötet, jedoch wird dies von der Hauptfigur aufs Schärfste verurteilt. Auch tierquälerische Tierversuche werden erwähnt und kritisiert. Außerdem werden immer noch in Schulklassen Tiere seziert. Dieses ganz und gar sinnlose Töten muss endlich aufhören! In einem Film, den ich einmal gesehen habe, war die Freundin schockiert, als sie sah, wie ihr Freund, ein Wissenschaftler, forschte. Sie nannte sein Tun „Tierquälerei“, er korrigierte sie unangenehm berührt mit dem Satz: „Ich forsche!“ Was er nicht verstanden hat, Suzy aber schon, ist, dass beides dasselbe ist. Der Zweck heiligt nicht die Mittel, wenn die Mittel dazu führen, dass ein Lebewesen leiden muss. An dieser Stelle wieder mein Verweis – für alle Menschen, denen Tierversuche ein Dorn im Auge sind – zum Verein „Ärzte gegen Tierversuche“, der teilweise schon recht erfolgreich gegen Tierversuche (die aus verschiedenen Gründen sinnlos sind) und für tierversuchsfreie Forschungsalternativen kämpft.

Warum dieses Buch?

Dieses Buch klang gleich von Anfang an so vielversprechend: Es hat ein traumhaftes Cover, lockt mit einer emotionalen Geschichte und Lobreden auf der Rückseite und wird von Reese Witherspoon Produktionsfirma verfilmt werden (das verspricht auf jeden Fall starke, weibliche Figuren). Für mich führte an diesem Buch daher kein Weg vorbei!

Meine Meinung

Einstieg (♥)

Bevor das Buch überhaupt beginnt, verzaubert die Autorin schon mit ihrer ermutigenden Widmung. „Für alle Neugierigen überall“, schreibt sie. Dann geht es auch direkt los, und zwar mit einem beinahe magischen Besuch in einem Unterwassermuseum, der die ganze Geschichte in Gang setzt. Bereits der Prolog ist derart rührend und intensiv geschrieben, dass man beim Lesen zugleich begeistert und traurig ist. Ich befand mich sofort mitten in der Geschichte und fand Suzys Erzählstimme sehr sympathisch und mitreißend.

„Und die ganze Zeit über schlägt dein Herz. Es tut, was es tun muss, es vollbringt einen Schlag nach dem anderen, bis sein Auftrag erledigt ist und es innehält. Das mag bereits in ein paar Minuten der Fall sein, und du weißt es noch nicht einmal.
Denn manche Herzen schlagen nur ungefähr 412 Millionen Mal.
Das hört sich viel an. Aber tatsächlich reicht es nur gerade so aus, um zwölf Jahre alt zu werden." Seite 8

Schreibstil (♥)

Der Schreibstil ist ein Traum. Er ist angemessen komplex, flüssig und sehr angenehm (auch für Jugendliche) zu lesen, gleichzeitig aber unglaublich intensiv, eindringlich und emotional. Mich hat er von der ersten Seite an gleich erreicht und berührt. Es gibt viele wunderschöne Zitate, die ich mir markiert habe. Die Sprache enthält teilweise gezielte Wiederholungen und ebenso interessante, treffende Beobachtungen menschlicher Verhaltensweisen. Richtig begeistert hat mich jedoch, wie viele interessante, erstaunliche Informationen über Quallen und generelle die Naturwissenschaften die Autorin eingebaut hat. Jugendliche (und auch Erwachsene) können hier so viel dazulernen, die Faszination für die Natur um uns herum wird ganz nebenbei geweckt! Googeln lohnt sich hier übrigens oft: Schaut euch zum Beispiel mal Bildern von der Atolla Qualle an – ihr werdet es nicht bereuen!

„Lange Sonnenstrahlen drangen durchs Fenster herein wie Geister, die durch Wände gehen. Sie legten sich auf den Teppich und hielten still.“ Seite 17

Inhalt, Themen, Botschaften & Ende (♥)

Abwechselnd folgen wir Suzy in der Gegenwart, in der sie verzweifelt versucht, mit dem Tod ihrer ehemals besten Freundin zurechtzukommen, und in der Vergangenheit. Die Rückblenden (in denen der Schreibstil kindlicher wird) lassen die LeserInnen einen nostalgischen Blick auf die Kindheit der Hauptfigur werfen und begreifen, wie nahe sich Suzy und Franny lange Zeit waren. Obwohl ich eigentlich kein Fan von Rückblenden bin (da sie schnell ausufern), fand ich die Struktur sehr organisch, fließend und angenehm.

Die Autorin hat ihre tolle Idee wunderbar umgesetzt: Sie verbindet das schwierige Leben der Hauptfigur geschickt mit wissenschaftlichen Informationen und dem im Naturwissenschaftsunterricht geforderten Laborbericht. Hier erkannte ich eine Parallele zu einem meiner absoluten Lieblingsjugendbücher, „So wüst und schön sah ich noch keinen Tag“ von Elizabeth LaBan. Oft steckt ganz viel zwischen den Zeilen und Suzys Nachforschungen lassen Rückschlüsse auf ihre Psyche ziehen. Es ist ein Buch der leisen Töne und großen Emotionen (manchmal musste ich echt schlucken), angenehm zurückhaltend, und es wird trotz eher wenig Handlung niemals langweilig. Die Autorin hat die im Buch prominenten Themen wie Trauer(verarbeitung), Schule, Mobbing, Anderssein, Erwachsenwerden, Freundschaft, Veränderungen und Einsamkeit tiefgehend und gelungen behandelt, jedoch fand ich, dass die ersten 60 Seiten die stärksten waren. Besonders in der zweiten Hälfte hatte ich das Gefühl, dass mir manche Dinge zu schnell zu einem Ende geführt und zu wenig ausgebaut wurden. Hier hätten meiner Meinung nach dem Buch noch einige Seiten mehr gutgetan, um alle Aspekte so auszugestalten, wie sie es verdient hätten. Zum Ende: Ich fand es sehr plausibel und hoffnungsvoll, aber das Kind in mir war ziemlich enttäuscht.

Wer allerdings auf beruhigende Antworten, erleuchtende Wahrheiten oder Tipps hofft, wie man mit dem Leben und Sterben generell umgehen kann, der wird leider enttäuscht werden. Weswegen ich mir durchaus vorstellen könnte, dass das Buch so manchen Teenager auf der Suche nach dem Sinn des Lebens in eine kleine Krise stürzen könnte (auch wenn das Buch durchaus nicht deprimierend ist).

Protagonistin (♥)

Suzy ist eine starke, komplexe aber stille Protagonistin. Sie hat ein sehr gutes Herz, macht interessante Beobachtungen, aber auch schwerwiegende Fehler und ist sehr intelligent. „Leider“ (finden zumindest ihre Kolleginnen) macht sich Suzy nichts aus Mode, Make-up und oberflächlichem Small-Talk, daher wird sie von ihren MitschülerInnen ausgeschlossen und auch immer wieder gemobbt. Sie beginnt, sich in den Tod von Franny und das Finden ihrer Todesursache hineinzusteigern und versucht verzweifelt einen Sinn und ein Muster zu erkennen in den schrecklichen Dingen, die immer wieder auf der Welt geschehen. Diese Suche nach der Wahrheit wurde sehr intensiv und emotional beschrieben, so dass manche bestimmt Taschentücher benötigen werden, wenn das Mitleid mit Suzy zu groß wird. Mich hat die Protagonistin so stark an June von „Sag den Wölfen, ich bin zu Hause“ von Carol Rifka Brunt erinnert, dass die beiden beim Lesen für mich fast zu einer Person verschmolzen sind. Also hier mein Tipp: Lest UNBEDINGT beide Bücher, aber lieber nicht parallel oder direkt hintereinander!

„Das heißt, es hat eine Zeit gegeben, in der du schon nicht mehr bei uns warst und niemand auf der Welt wusste davon. Nur du ganz allein. Du bist im Wasser verschwunden, und keiner hat es bemerkt.
Was für ein unglaublich einsamer Moment muss das gewesen sein.“ Seite 20

Figuren (+)

Die Nebenfiguren spielen eigentlich nur eine kleine Rolle (hauptsächlich geht es um Suzys Gefühls- und Gedankenwelt und Beobachtungen), dennoch hat sich die Autorin auch hier Mühe gegeben, sie gut auszuarbeiten. Die meisten sind auch sehr gelungen, aber manches Mal hätte ich hier und da noch ein bisschen mehr über einzelne Figuren erfahren. 

Spannung & Atmosphäre (♥) 

Obwohl das Buch nicht wirklich viel Handlung hat, wird es niemals langweilig. Ich wollte immer wissen, wie es mit Suzy und ihrem Plan weitergeht und konnte voll und ganz ins Buch abtauchen. Es gibt in der Geschichte sowohl ernste und traurige als auch glückliche und fröhliche Momente, und es fällt leicht, mit Suzy mitzufühlen. Die kurzen Kapitel sorgen dafür, dass man schnell durch die Geschichte fliegt und verschaffen einem gleichzeitig Pausen zum Durchschnaufen nach emotionalen Abschnitten.

Geschlechterrollen (♥)

Auch hier gibt es nichts auszusetzen: Mit Suzy hat die Autorin eine starke, liebenswürdige Protagonistin mit einem großen Herzen geschaffen, die Rollenstereotypen bricht, und nichts auf gesellschaftliche Erwartungen gibt. Die Eltern von Suzy sind geschieden, ihre Mutter arbeitet, viele Nebenfiguren sind weiblich und haben wichtige Berufe (Psychologin, Wissenschafterin, Lehrerin). Besonders gefallen hat mir auch der normale, offene Umgang mit Suzys Bruder, der schwul ist. Hier wird den Jugendlichen gezeigt, wie es sein soll. Hoffentlich führt das zu mehr Toleranz.

Mein Fazit

„Die Wahrheit über Dinge, die einfach passieren“ ist ein Jugendbuch der leisen Töne und großen Emotionen, das trotz wenig Handlung niemals langweilig wird. Vielmehr taucht man vollkommen ab in Suzys Innenwelt und ihre Versuche, mit dem Verlust ihrer ehemals besten Freundin umzugehen. Der Schreibstil ist angenehm komplex, flüssig und leicht verständlich, dabei aber auch sehr eindringlich und berührend. Ein richtiges Highlight sind die vielen interessanten Informationen über Quallen und die Natur, die Autorin geschickt einwebt. Suzys Faszination springt hierbei sehr schnell auf die LeserInnen über. Die Figuren sind liebevoll ausgearbeitet und die behandelten Themen wie Erwachsenwerden, Trauer, Verlust, Anderssein und Einsamkeit werden angemessen behandelt. Dennoch hätte ich mir vor allem in der letzten Hälfte des Buches gewünscht, dass die Autorin noch etwas mehr in die Tiefe geht und sich mehr Zeit lässt, um die Geschichte zu einem Ende zu führen. Aber auch so hat sich Ali Benjamin mit ihrer Geschichte um Dinge, die einfach passieren, in mein Herz geschrieben und sich zu einer meiner neuen LieblingsjugendbuchautorInnen gemausert.

Die Verfilmung ist für mich ein Muss! Ich freue mich schon sehr darauf!

Leseempfehlung: Uneingeschränkte Leseempfehlung (besonders für Jugendliche)!

Bewertung

Idee, Themen, Botschaft: 5 Sterne ♥
Worldbuilding: 4 Sterne
Ausführung: 4,5 Sterne
Einstieg: 5 Sterne (was für ein erstes Kapitel!) ♥
Schreibstil: 5 Sterne ♥
Protagonistin: 5 Sterne ♥
Nebenfiguren: 4 Sterne
Atmosphäre: 5 Sterne ♥
Spannung: 4 Sterne
Ende: 4 Sterne
Emotionale Involviertheit: 5 Sterne ♥
Geschlechterrollen: + (Vorbildwirkung für Mädchen!)

Insgesamt:

❀❀❀❀,5 Lilien und trotzdem ein ♥ dazu und somit den Lieblingsbuchstatus!